Die Darstellung Jesu im Tempel
Susanne Heine,
Institut für Religionspsychologie Uni Wien
Ein Säugling ist Licht für Israel und darüber hinaus für die ganze Welt. Das heutige Evangelium ist ein Ausschnitt aus den ersten zwei Kapiteln über die Geschichte Jesu von der Geburt bis zum Auftritt des Zwölfjährigen im Tempel, die sich nur bei Lukas finden. Nur dieser Evangelist bindet die Überlieferungen in große Erzählungen ein, um uns das größte Ereignis der Weltgeschichte anschaulich vor Augen zu führen: das Aufleuchten des ewigen Lichts in einer auf Heil wartenden Welt. Nur bei Lukas tritt der fromme Simeon auf, der ein Leben lang auf dieses Licht gewartet hat. Und dann sieht er es in einem unscheinbaren Säugling, dem seine Bedeutung nicht anzusehen ist. Um in ihm das Licht sehen zu können, müssen erst die Augen geöffnet werden – durch den Heiligen Geist. Die Szene spielt im Tempel. Dorthin bringen Maria und Josef das Kind, um eine damalige
Pflicht zu erfüllen. Alles Erstgeborene musste in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten Gott geweiht werden (Ex 13,2). Simeon aber sieht nicht nur das Licht, sondern auch die Schatten, die sich durch das Licht deutlicher zeigen. Die im Schatten leben, scheuen das Licht, das ihre üble Gesinnung und ihre Untaten aufdeckt. Deshalb sagt Simeon: Es werden viele zu Fall kommen. Aber auch die Zuwendung zu den Menschen und allen Geschöpfen wird ins rechte Licht gerückt. Deshalb sagt Simeon: Viele werden aufgerichtet. Solange nicht die ganze Welt im Licht erstrahlt, wird es Schmerz geben – für Maria, und nicht nur für sie.
Das heutige Lichtfest, volkstümlich Mariä Lichtmess genannt, knüpft an diese Erzählung an und will auch in den evangelischen Kirchen sagen: Was Simeon widerfahren ist, kann immer wieder geschehen.