VW hat den Poker verloren
Beim Abgasskandal führten die Wolfsburger ihre Kunden jahrelang an der Nase herum. Dafür verpassten die Höchstrichter dem Autokonzern nun eine schallende Ohrfeige.
Herbert Gilbert heißt der Mann, der für Zehntausende Opfer der Vw-manipulationen vulgo Abgasskandal eine Art Robin Hood geworden ist. Der Rheinland-pfälzer hatte 2014 ein Auto mit unlauter unsauberem Dieselmotor gekauft und nach Bekanntwerden der Malversationen – das war immerhin schon 2015 – nicht lockergelassen.
Dass er mit seiner Klage vor dem höchsten Zivilgericht Deutschlands, dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, recht bekommen hat, überraschte Kenner der Materie nicht mehr. Trotzdem darf nun nicht nur Gilbert diesen Sieg auskosten (dass er vom Kaufpreis fast 90 Prozent zurückbekommt, ist mehr als ein Almosen) – das Urteil strahlt in alle Verfahren hinein, auch außerhalb Deutschlands. Zigtausende Vw-kunden können darauf pochen, wenn sie ihre Ansprüche durchsetzen wollen.
Für den deutschen Autoprimus, der Käufer und Öffentlichkeit geprellt hat, ist es nicht weniger als eine schallende Ohrfeige. Der Konzern hat den Skandal zähneknirschend eingestanden und technisch aufgearbeitet, aber in der Wiedergutmachung gegenüber der eigenen Klientel glänzte man nicht durch übertriebenen Eifer.
Im Gegenteil, Volkswagen betonierte sich in der Position ein, dass den Autokäufern durch die Software, mittels der man auf dem Prüfstand, aber eben nicht auf der Straße die Abgasnorm erfüllte, kein Schaden entstanden sei. Auch diese Auffassung haben die Karlsruher Richter zur Makulatur degradiert.
Klägern machte VW das Leben schwer. Gemessen an der Zahl der manipulierten Dieselautos liegen wenige Urteile vor. Prozesse wurden abgebrochen, weil Klägern das Risiko zu groß schien oder der Autohersteller Einzelvergleiche anbot. VW bewegte sich nur dann, wenn der Druck zu groß wurde.
Den ersten Massenvergleich schloss man in den USA, jenen auf dem Heimmarkt bereits deutlich später. In Deutschland gibt es im Schnitt 15 Prozent des
Kaufpreises zurück, wobei europäische Käufer außerhalb Deutschlands von diesem Vergleich ausgeklammert wurden. Das Verzögern und Hinhalten sparte den Wolfsburgern in vielen Fällen Geld, weil Ansprüche verjährten. Es dauerte fast fünf Jahre, bis in der Frage des Schadenersatzes endlich für Klarheit gesorgt wurde.
Letztlich war es aber ein Poker, bei dem der Autokonzern nun den Kürzeren gezogen hat. Nicht nur, dass man nach den Unsummen für Berater und Anwälte nun hohe Beträge für die Entschädigung der Kunden ausgeben muss, auch das Urteil trifft den Konzern freilich zur Unzeit. ie Autoindustrie wird von der Pandemie arg gebeutelt. Zwar war der Sektor schon davor in Transformation, doch wird Corona den Umbau beschleunigen – Kollateralschäden, die etwa auch die wichtige österreichische Zulieferindustrie treffen könnten, inklusive. Volkswagen hat seit Bekanntwerden des Abgasskandals übrigens trotzdem sagenhafte Milliardengewinne geschrieben. Das Jahr 2020 wird aber mit Sicherheit tiefere Spuren hinterlassen, nicht nur in der Bilanz.
D