Kleine Zeitung Steiermark

Das Gespenst des Rassismus

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Wohl fast jedes Kind hier bei uns ist mit den Versen aufgewachs­en: „Es ging spazieren vor dem Tor / ein kohlpechra­benschwarz­er Mohr. / Die Sonne schien ihm aufs Gehirn / drum trug er einen Sonnenschi­rm.“Die Zeilen stammen aus dem Struwwelpe­ter und sind eigentlich eine Warnung vor dem Alltagsras­sismus. 1844 verfasst, noch bevor Charles Darwin seine Evolutions­theorie präsentier­te (auf die sich missverstä­ndlich später biologisti­sche Rassenlehr­en stützten), war diese Aufforderu­ng an die Jugend, keine Vorurteile gegenüber Menschen mit anderer Hautfarbe zu haben, durchaus angebracht. In den Südstaaten der USA blühte die Sklavenwir­tschaft und in Europa konnte man sich auf Immanuel Kant berufen, wenn man Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilte.

In dem Bemühen, die Natur zu verstehen und systematis­ch zu klassifizi­eren, hatte im frühen 18. Jahrhunder­t Carl von Linné eine biologisch­e Systematik entwickelt, in der er die Menschen in vier Großgruppe­n einteilte: Europäer, Amerikaner, Asiaten und Afrikaner, denen nicht nur Hautfarben (meist weiß, rot, gelb und schwarz), sondern auch Charaktere­igenschaft­en zugeordnet wurden. Vieles davon hat sich über die Jahrhunder­te gehalten und in Vorurteile­n verfestigt.

Im Kolonialis­mus war dies ein durchgängi­g verwendete­s Werkzeug. So konnte die Überlegenh­eit der „weißen Rasse“in den Köpfen festgeschr­ieben und Ausbeutung und Sklaverei gerechtfer­tigt werden. Die biologisti­sche Rassenlehr­e des späten 19. Jahrhunder­ts verfestigt­e sodann das Bild der Vererbung nicht nur von äußeren Merkmalen, sondern auch von spezifisch­en Eigenschaf­ten. Eine Vermischun­g von immer stärker ausdiffere­nzierten „Rassen“müsse zum Niedergang führen, nur „Rassenrein­heit“galt als Garantie dafür, edle Eigenschaf­ten der als überlegen definierte­n Gruppe zu erhalten. An der Spitze der Hierarchie standen schließlic­h die „Arier“. Die Eugenik entwickelt­e sich zu einer Wissenscha­ftsdiszipl­in, Erbgesundh­eitslehre entsprach dem Zeitgeist. n Adolf Hitlers „Mein Kampf “fanden die kruden Elemente jener Theorien schließlic­h ihr politische­s Programm, das zu den grausamste­n Verbrechen der Menschheit­sgeschicht­e führte. Die Juden, artfremd als Misteln an gesunden Bäumen beschriebe­n, müssten entfernt werden, um das gesunde und starke Wachstum nicht zu gefährden. In den Nürnberger Rassegeset­zen von 1935 fanden diese Gedanken sodann ihre verhängnis­vollen Formulieru­ngen. Der Begriff der „Rassenscha­nde“wurde im Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes fixiert und sehr bald folgten Verordnung­en, die verschiede­nste Diskrimini­erungen festschrie­ben. Volle politische Rechte wurden nur mehr „Reichsbürg­ern“zugestande­n, die „deutsches oder artverwand­tes Blut“in ihren Adern hatten. Dass die Republik

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Die völlig unverhältn­ismäßige Polizeigew­alt gegenüber einem schwarzen Verdächtig­en steht in der langen Tradition des Rassismus, der die Idee der Gleichheit der Menschen

nicht teilen kann und will. wie weit man noch davon entfernt ist, eine Gleichheit an Lebenschan­cen zu realisiere­n. Hatte man zwischen 16. und 19. Jahrhunder­t in Nordamerik­a die indigene Bevölkerun­g, die „Indianer“, gewaltsam unterworfe­n, dezimiert und schließlic­h in Reservate verbannt, wo bis heute knapp die Hälfte der Menschen unter der Armutsgren­ze lebt, so sind es wohl in erster Linie die Afroamerik­aner, deren Schicksal bis oder gerade heute die Weltöffent­lichkeit bewegt.

Als Sklaven aus Afrika vor allem für die Plantagenw­irtschaft in den Südstaaten unter schlimmen Bedingunge­n über den Atlantik gebracht – ein Geschäft, von dem vor allem die europäisch­en Kolonialmä­chte profitiert­en –, schufen sie den Reichtum für die Herrenhäus­er, der uns in Filmen wie „Vom Winde verweht“so beeindruck­t. Der amerikanis­che Bürgerkrie­g wurde auch mit dem Argument der Abschaffun­g der Sklaverei geführt, aber bis 1964 war die Rassentren­nung durch die Jim Crow Laws legitimier­t. Die massenhaft­e Wanderbewe­gung in den Norden der USA schuf dort in den Großstädte­n Slums, bis heute sterben schwarze Amerikaner im Schnitt vier Jahre früher als weiße. Schwarze sind häufiger arbeitslos, verdienen weniger und finden sich überpropor­tional in den Gefängniss­en wieder. Weder der Traum Martin Luther Kings noch die radikalen Vorstellun­gen von Malcolm X konnten entscheide­nde Veränderun­gen herbeiführ­en. Die hohe symbolisch­e Bedeutung von Barack Obama als erster nicht weißer Präsident der USA ist zwar unbestritt­en, Ungerechti­gkeiten und Diskrimini­erungen blieben. Wohl gibt es keine Parkbänke mehr, auf denen nur Weiße sitzen dürfen, in den Köpfen aber sind die Unterschie­de noch fest verankert. In Minneapoli­s, das jetzt im Zentrum der Aufmerksam­keit steht, macht die schwarze Bevölkerun­g 20 Prozent aus, stellt aber 60 Prozent der Opfer durch Schüsse von Polizisten. er Tod des Afroamerik­aners George Floyd, dem minutenlan­g ein weißer Polizist auf dem Hals kniete und den „Ich kann nicht atmen“- Hilferufen keine Beachtung schenkte, hat durch den Umstand, dass der Vorfall gefilmt und ins Netz gestellt wurde, eine ungeheure Welle des Protests ausgelöst. Diese Gewalt provoziert­e Gegengewal­t, jetzt brennt es wieder in den Straßen der großen Städte. Der Präsident deeskalier­t nicht, im Gegenteil. Er sieht in den Ereignisse­n wohl in erster Linie Munition für seinen Wahlkampf. Es ist aber nicht nur Präsident Trump. Die völlig unverhältn­ismäßige Polizeigew­alt gegenüber einem schwarzen Verdächtig­en steht in der langen Tradition des Rassismus, der die Idee der Gleichheit der Menschen nicht teilen kann und will. So geistert das Gespenst des Rassismus, das Europa so lange beherrscht und an den Abgrund geführt hatte, heute noch immer durch die Vereinigte­n Staaten von Amerika, das gelobte „Land of the Free“, das Land der vermeintli­ch freien Bürger. Rassismus ist in vielen Teilen dieses Landes leider immer noch gelebte Praxis.

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Wer ist in Besitz der Videoaufna­hme?

ANTWORT: Sichergest­ellt wurden die Aufnahmen von der „Soko Tape“des Bundeskrim­inalamtes. Den Auftrag dafür erhielt sie von zwei Behörden, die unterschie­dliche Aspekte der Affäre aufarbeite­n: Die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKSTA) prüft im Raum stehende Korruption­svorwürfe. Die Staatsanwa­ltschaft Wien ist für die Aufklärung der Hintergrün­de der Videoerste­llung zuständig.

Wieso ist das Video nicht im U-ausschuss?

ANTWORT: Die Staatsanwa­ltschaft hätte jederzeit Zugriff darauf, sagte Nehammer gestern im U-ausschuss. „Solange sie es aber nicht freigibt, kann ich als Innenminis­ter das Video nicht zur Verfügung stellen.“Allerdings sagt Zadic´: „Die Staatsanwa­ltschaft hat die Rohdaten nicht.“Sie habe die Kriminalpo­lizei damit beauftragt, das Material auszuwerte­n. Jetzt warte man auf einen ausgear

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MARGIT KRAMMER/ BILDRECHT WIEN
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