Rassismus ist Alltag
Der Rassismus ist ein schleichendes Gift, das die Gesellschaft zersetzt. Nicht nur in Minneapolis und den USA, sondern auch in Österreich.
Man kann sich die niederschmetternde Wirkung des Rassismus nicht vorstellen, wenn man davon nicht betroffen ist. Ein winziges Beispiel aus eigener Anschauung. Man sitzt mit einem Freund aus Somalia im Zug. Jeder in der Gruppe hat den gleichen Fahrschein. Bei der Kontrolle wird der Fahrschein des Somaliers drei Mal so aufmerksam inspiziert wie die seiner zwei Begleiter. Man ist irritiert, aber vergisst das Ärgernis. Bis zum nächsten Mal. Denn für ein Opfer des Rassismus bleibt es nicht dabei. Es erlebt so etwas vielleicht fünf Mal oder 50 Mal. Die Winzigkeit wird zur gewohnheitsmäßigen Erniedrigung. Der stetige Verdacht, die dauerende Exklusion verheert die Psyche. Es braucht keinen dramatischen Übergriff, sondern nur diese Kleinigkeit, um Menschen in die Dissidenz zu treiben. Wer möchte Teil einer Gesellschaft sein, von der man diskriminiert wird?
In den USA führt der Rassismus, sei es der unmerkliche, der strukturelle oder auch der gewalttätige, Menschen zur Gegenwehr. Die Zentrifugalkräfte, die der Rassismus auf die Gesellschaft ausübt, sind seit Tagen zu sehen. Im Schmelztiegel USA verharrt man in einem Denken in Ethnien. Es ist ein Land, in dem eineinhalb Jahrhunderte nach dem Ende der Sklaverei der Rassismus als Ursünde der Nation präsent bleibt. Nur dass sich die Lynchjustiz heute einen rechtlichen Anschein gibt. Der Zorn, mit dem die Opfer auf Verachtung und Vernichtung reagieren, schlägt auch in Österreich Wellen. Dass in Wien 50.000 Menschen zu einer Kundgebung aufmarschieren, um gegen Rassismus zu protestieren, ist ein deutliches Zeichen. Offenbar traf der Aufruf einen Nerv.
Wir müssen nicht mit dem Finger auf die USA zeigen. Österreichs Geschichte des Rassismus ist lang. Auf heimischem Boden ist ein Teil des schlimmsten rassistischen Verbrechens aller Zeiten verübt worden. Und auch hierzulande werden verunsicherte, an den Rand gedrängte Menschen, die nach einfachen Lösungen suchen, beim Weltbild des Rassismus fündig, wo sich selbst der größte Trottel noch als überlegen fühlen darf, nur weil er eine helle Hautfarbe hat.
Eine Gesellschaft, die sich über angebliche Denk- und Sprechverbote echauffiert, und wie wild „Negerschnitten“auf Speisekarten verteidigt, während realer Rassismus zu oft achselzuckend hingenommen wird, hat keine moralische Autorität, über andere Länder zu richten. Die Anzahl der rassistischen Übergriffe hat sich in Österreich im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Verdoppelt. anz zu schweigen von den rassistischen Untertönen, die Debatten über Kopftücher, Religionsunterricht und Sozialhilfe offenbar unvermeidlich begleiten. Der Kulturkampf einer Mehrheit gegen eine Minderheit wird auch bei uns geführt. Auch wenn eine Million Appelle verhallt sind, man darf nicht aufhören, es zu sagen: Unsere Zukunft passiert nicht, wir gestalten sie. Rassismus ist kein Schicksal, wir können, wir müssen ihn verschwinden lassen.
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