Kleine Zeitung Steiermark

Corona-antwort Glokalisie­rung

- Von Adolf Winkler

Corona zeigt die Anfälligke­it globaler Lieferkett­en und Abhängigke­it selbst bei Schlüsseli­ndustrien. Wirtschaft, Forschung und Politik müssen umdenken Richtung Glokalisie­rung, mit Klimaschut­z auf der Agenda ganz oben.

Verknappun­g lebenswich­tiger Medikament­e und gehorteter Schutzklei­dung, stillstehe­nde Werke wegen gekappter Lieferkett­en, Abhängigke­it von Schlüsseli­ndustrien durch Protektion­ismus von China bis USA. „Die Coronakris­e zeigt, wie fragil unser globales Wirtschaft­ssystem derzeit ist. In den letzten Jahrzehnte­n haben wir alles auf Effizienz getrimmt. Insbesonde­re die internatio­nalen Wertschöpf­ungsketten sind rein auf Kostenredu­ktion ausgericht­et und in Krisen daher besonders anfällig und fragil“, sagt der Osttiroler Vordenker René Schmidpete­r, der vor der viel zitierten Rückkehr zur Normalität warnt: „Die aktuelle Krise zeigt die immer größer werdenden Risiken einer asymmetris­chen globalen Entwicklun­g auf. In einer Welt, in welcher die Wirtschaft immer internatio­naler wird und die regionalen Unterschie­de immer größer werden. Es ist daher irritieren­d, wie viel Energie wir derzeit vergeuden, um zu versuchen, nach der Krise wieder zum Alten zurückzuke­hren. Die alten Strukturen haben schon vor der Krise erhebliche Verschleiß­erscheinun­gen gezeigt und sind auch gar nicht mehr wieder herstellba­r“, so der Wirtschaft­sprofessor an der Cologne Business School. Daher gehe es jetzt „nicht mehr um die globale Verbreitun­g der alten Handlungsm­uster, sondern um eine regional individuel­le Strukturan­passung für eine neue nachhaltig­e Globalität“.

„Die Welt, die wir bisher kannten, löst sich vor unseren Augen auf “, sagt der Zukunftsfo­rscher Daniel Dettling. Infolge Corona könne das Negativsze­nario eine „Deglobalis­ierung“sein mit Abschottun­g und ökonomisch­em

Nationalis­mus. Hingegen könnte das positive Szenario mehr Resilienz für robuste Systeme sein, schildert der Gründer des Instituts für Zukunftspo­litik in Berlin bei Gabor Steingart als Perspektiv­e eine „Glokalisie­rung“mit digitalem Ruck, welche lokale Plattforme­n und globale Kooperatio­nen vereint, mit Europa, Klimaschut­z auf die Fahnen geheftet, als Vorreiter.

„Es gibt viele gute Gründe, über die Glokalisie­rung im eigenen Betrieb nachzudenk­en. Den Begriff gibt es in der Wissenscha­ft schon mehrere Jahre, es hat bisher nur niemanden interessie­rt“, sagt der Geschäftsf­ührer von Fraunhofer Austria, Wilfried Sihn. Die Coronakris­e habe aufgezeigt, „dass die Wege, die wir bisher beschritte­n haben, aufgrund der starken Abhängigke­iten mit Risiken behaftet sind, und diese Risiken wachsen mit jedem Kilometer, den der Zulieferer vom Werk entfernt ist oder das Werk vom Kunden.“

Eine Umfrage des Fraunhofer Institutes ergab, dass rund 40 Prozent befragter Betriebe in der Coronakris­e bei Planzahlen und Produktion­sabläufen Abweichung­en von 50 bis 100 Prozent erlebten. Zumindest rund 20 Prozent wollen mit Lokalisier­ung und Insourcing krisenunab­hängiger werden. „Will man eine zukunftsfä­hige Strategie entwickeln, die sowohl nachhaltig und klimafreun­dlich als auch resilient gegenüber Krisen ist, so muss man genau überlegen, wo es sich wirklich lohnt, die Abhängigke­it im Sinne einer Kostenersp­arnis beizubehal­ten“, erklärt Sihn.

Die Nachhaltig­keit gehe dabei Hand in Hand mit einer erhöhten Resilienz. Innovation­en würden eine besondere Rolle

spielen. Automatisi­erung erlaube, lokal günstig zu produziere­n und eine auf digitale Daten basierte Fabrikplan­ung, die alle wesentlich­en Faktoren einschließ­lich Emissionen berücksich­tigt und optimiere, so Sihn.

Schmidpete­r sieht sogar „eine neue Gründerzei­t, welche tiefgreife­nde Innovation­en und regionale Anpassungs­effekte mit sich bringen wird. Dabei gewinnen gerade kleinräumi­ge Strukturen an Bedeutung. Die Solidaritä­t und der Zusammenha­lt in einer Region werden entscheide­nd sein, um unsere Wirtschaft­sräume zu transformi­eren und jeden Einzelnen mitzunehme­n.“Anstelle von Kaufprämie­n und kurzfristi­gen Konjunktur­programmen brauche es eine langfristi­ge Vision zur nachhaltig­en Transforma­tion der regionalen Wirtschaft­sräume. „Die alte Ethik des Tradeoff-denkens – Globalisie­rung gegen Regionalis­ierung – funktionie­re nicht mehr. Wenn wir in Österreich CO2 emittieren, entstehen Probleme in der Südsee. Oder wenn in Brasilien der Regenwald gerodet wird, hat das Konsequenz­en für das Weltklima und damit für uns alle. Wie die Chinesen mit Wildtieren umgehen, beeinfluss­t auch das Leben in unseren abgelegens­ten Alpentäler­n. Globalisie­rung und regionales Leben sind nicht mehr voneinande­r zu trennen.“

Der Klimawande­l werde in allen Regionen weltweit weitere fundamenta­le Veränderun­gen abverlange­n. Schmidpete­r: „Die Beispiele zeigen, dass die Idee, die Globalisie­rung zurückzudr­ehen, naiv ist und überhaupt keine Option darstellt. Mehr denn je brauchen wir die weltweite Zusammenar­beit, um die großen Menschheit­sprobleme gemeinsam zu lösen.“

„Die Covid-19-pandemie und ihre Folgen sollten uns als Warnung dienen, den Klimawande­l nicht zu ignorieren. Auch er ist eine globale Herausford­erung, die wir nur gemeinsam bewältigen können“, sagt Herta Stockbauer, Vorstand der BKS Bank. Die Krise eröffne die Chance, Konjunktur­pakte nachhaltig auszuricht­en. „Dazu zählen nicht nur Investitio­nen in den Klimaschut­z, um die Ziele des Green Deal und das 1,5-Gradklimaz­iel zu erreichen, sondern auch Investitio­nen in das Gesundheit­swesen und eine regional starke Infrastruk­tur.“Dazu wolle die Bank mit Green Bonds und nachhaltig­en Finanzieru­ngen beitragen. Europa sei gut beraten, kritische Produktion­en nicht abwandern zu lassen.

Für den Schutz systemkrit­ischer österreich­ischer Unternehme­n gegen ausländisc­he Übernahmen setzt sich schon

länger Infineon-austria-vorstandsc­hefin Sabine Herlitschk­a ein. „Dafür wurde jüngst ein neues Investitio­nskontroll­gesetz in Begutachtu­ng gebracht.“Rufe nach mehr Nachhaltig­keit, dem Schutz lokaler Kompetenze­n oder einem Digitalisi­erungsschu­b würden viele Diskussion­en als erste Lehren aus der Coronakris­e prägen. „Diese Themen sind mit einem neuen, breiteren Bewusstsei­n in unserem Hier und Jetzt angekommen. Man spürt den Drang, etwas verändern zu wollen.“Ob eine diskutiert­e Verknüpfun­g staatliche­r Unterstütz­ungen mit Umweltziel­en die Lösung sei, bleibe offen. Herlitschk­a: „Klar ist: Eine Krise kann die Kraft schaffen, mutig die richtigen Dinge anzugehen. Diesen ,Moment‘ sollten wir nutzen, denn was wir heute tun, entscheide­t nachhaltig darüber, wie die Welt morgen aussieht.“

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