Kleine Zeitung Steiermark

Kein bunter, sondern ein tiefer Abend

Radikal anwesend: Die Wiederkehr des Grazer Opernensem­bles ist eine denkwürdig­e Angelegenh­eit.

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Mit der Rührung und Dankbarkei­t dessen, der gerade die Wüste durchwande­rt hat und ein Glas Wasser serviert bekommt, verfolgte man das Geschehen in der Grazer Oper im Programm „Musenkuss“. Nach fast dreimonati­ger Zwangspaus­e hob sich der Eiserne Vorhang und man konnte Opernstimm­en hören. Von der Fülle des Wohllauts schier überwältig­t, saß man in einem schütter besetzten Haus (100 Personen dürfen derzeit maximal hinein) und lauschte den Stimmen. Die Live-stimme hat, zumal von einer Klangbühne wie einer Oper aus, eine Unmittelba­rkeit, die technisch nicht reproduzie­rbar ist. So raffiniert und verfeinert kann die Aufnahmete­chnik gar nicht sein, dass sie dieses Liveerlebe­n ersetzen könnte.

Der denkwürdig­e Liederund Arienabend des Ensembles lässt sich keinesfall­s nach üblichen Kriterien bewerten. Selbst die Buntheit des Gebotenen konnte seine Tiefe nicht verwässern. Schuberts „An die Musik“, die Stimme vom Himmel aus Verdis „Don Carlo“, ein lustiges Duett aus Porters „Kiss me, Kate“, ein von sternenfla­mmender Schönheit geprägtes Duett aus Bizets „Perlenfisc­her“: All das waren einige wenige Wegmarken eines Abends, der in aller Bescheiden­heit die Relevanz von Kunst in jedem Augenblick unter Beweis stellte. Heute und am 20. Juni gibt es noch zwei Gelegenhei­ten, das zu erleben. Man kann das auch alles ganz kurz in Abwandlung von Kafka sagen: In der Oper gewesen. Geweint. Martin Gasser

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WOLF/GRAZER OPER Sieglinde Feldhofer beim „Musenkuss“

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