Nurdemhass darf man sich nicht beugen
Was wir auf diesem Foto sehen, ist eindeutig, doch die starke Symbolik dahinter verdient eine nähere Betrachtung: Polizisten in Florida (und auch an anderen Orten) gehen bei einer Trauerkundgebung für den im Zuge von unfassbarer Polizeigewalt in Minneapolis ums Leben getretenen Afroamerikaner George Floyd in die Knie. Das erschütternde Beweisvideo dieser ganz offensichtlich rassistisch motivierten Raserei flimmerte um die Welt, Zigtausende Menschen in vielen Ländern gehen seither auf die Straßen, um sich gegen das Trennende zu vereinen.
Ob vor einem Gott oder einem Menschen: Vor jemandem in die Knie zu gehen, ist ein Akt von elementarer Bedeutung, der demjenigen, der ihn vollbringt, einiges abverlangt. Man beugt nicht nur sein Knie, sondern neigt auch reuevoll den Kopf und senkt voll Scham den Blick. Ja, das ist ein Ritual der Unterwerfung, aber noch viel mehr ist es eine Geste von tief empfundener Demut. Nur ein Aufrechter im Geiste, der um die eigene Fehlbarkeit weiß, ist dazu fähig. Es bedarf Stärke, sich die eigenen Schwächen einzugestehen. Dass ausgerechnet Polizisten – also jene Gruppe, die im Fadenkreuz der Kritik steht – dieses Zeichen setzen, kann man als billiges Betroffenheitstheater sehen – oder als Hoffnungsschimmer. Denn der toxische Kreislauf von Rassismus kann nur dann durchbrochen werden, wenn auch die weiße Bevölkerung – selbst in jahrhundertealten Überlegenheitsfantasien gefangen – sich den universellen und unteilbaren Gesetzen der Menschlichkeit unterwirft. er Us-amerikanische Literat James Baldwin hat bereits im Jahr 1963 geschrieben: „Es erfordert große geistige Widerstandskraft, den Hassenden nicht zu hassen, dessen Fuß man im Nacken hat, und ein sogar noch größeres Wunder an Milde und Einsicht, den Kindern beizubringen, dass sie nicht hassen sollen.“Demutsvoll in die Knie zu gehen, ist ein erster Schritt, sich nicht weiter dem Hass zu beugen. „Denn“, auch das ein Baldwinsatz, „das Unmögliche ist das Mindeste, was man verlangen kann.“Bernd Melichar
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Ja, das ist ein wahres Amerika. Eine lange unterbelichtete Ansicht der USA. Auch weil acht Jahre unter Barack Obama ein Trugbild vorgegaukelt haben. Hope? Change? Yes, we can! Doch die erst mit dem Bürgerrechtsgesetz von 1964 manifestierte Rasseninklusion ist eine Basis für das Paradoxon der Polarisierung. In „Wie Demokratien sterben“erläutern Steven Levitsky und Daniel Ziblatt „die ungeschriebenen Gesetze der amerikanischen Politik“. Dazu gehört die ein Jahrhundert geltende stille Übereinkunft der Demokraten und Republikaner, Bürgerrechte von der Agenda fernzuhalten.
Dadurch blieb die Us-demokratie unvollendet. Ihre theoretische Vervollkommnung vor 56 Jahren ist vor allem deshalb noch zäheres „work in progress“als die Gleichberechtigung von Frauen, weil die Afroamerikaner nur zwölf Prozent der Bevölkerung stellen. Die Minderheit eignet sich ideal zur menschenverachtenden, aktiven gesellschaftlichen Polarisierung, die Trump ins Amt gehievt hat. Systematische Zerstörung von kritischer Glaubwürdigkeit ist Kern dieses Konzepts. 70 Prozent der Demokraten, aber nur noch 15 Prozent der Republikaner vertrauen den Medien. Doch auf 100 Amerikaner kommen 120 Schusswaffen. Eher als an öffentlichen Diskurs glauben sie an individuelle Gewalt
zur Durchsetzung von Interessen. Während europäische Herrscher den Bauern bloß Mistgabeln zustanden, sind die USA auch ein Ergebnis allgemeiner Bewaffnung. Die Weiterpflege dieses konstitutionellen Mythos bedingt eine Aufrüstung der legitimen Ordnungsmacht. Die Polizei agiert dort brutaler, weil das staatliche Gewaltmonopol auf mehr technische Gegenwehr trifft.
Dass Bilder dazu nur im Extremfall aufpoppen, ist auch eine Informationskrise. Immer mehr Counties sind ohne eigene Zeitung. In Freiwildzonen für Social Media gewinnt Trump besonders stark. Medien in den Städten blenden den ländlichen Raum oft aus. Sie schaffen auch durch ihr politisch korrektes, diverses Personal und Unterhaltung statt Information ein Zerrbild. Farbige haben ihre besten Aufstiegschancen im Showbiz – in Kultur und Sport. Das stärkt die Fama vom Land, in dem sein Glück jeder selbst in der Hand hat. Ein Besuch im African American Museum in Washington lässt diese Annahme zu „alternativen Fakten“zerbersten, dem Unwort von Trump für seine puren Lügen. Das einzig wahre Amerika gibt es nicht. Die USA sind heute eine zutiefst gespaltene Gesellschaft. Aufgrund ihrer Geschichte und infolge eines politischen Konzepts. Es nutzt Trump. Immer noch. ist Medien- und Politikberater, Kolumnist sowie Lehrgangsmanager für politische Kommunikation an der Donau-universität Krems.