„Man muss wissen, wie es schmecken kann“
Bäcker haben die größten Chancen, wenn sie authentisch, ehrlich sind und sich auf Qualität besinnen. Ich persönlich brauche oft nicht einmal ein Gewürz im Brot. Ausgefallene Getreidesorten, die Arbeit an der Basis ist wesentlich. Welches Mehl, welche Butter oder Milch? Das verändert Texturen, Enzymatik und am Ende ist das eine Kipferl mürber als das andere – das ist der Schlüssel zum Erfolg. Man braucht auch keine Auswahl von 160 Sorten, aber kreative Wege beim Arbeitszeitmodell. Nachtarbeit und somit die Umkehr des Lebens sind nicht mehr notwendig.
also
beim würde auch niemand erwarten, dass sich jemand grüne Tafeltrauben im Supermarkt kauft und einen Veltliner daraus macht. Mehl unterscheidet sich durch Sortenvielfalt wie der Wein, im Terroir, im Jahrgang. Das steht nirgends drauf. Oberkulmer Rotkorn, Lungauer Tauernroggen, Lichtkornroggen, Goldblumenweizen – Bäckermehle schmecken komplett anders.
Noch nie ist zu Hause so viel gebacken worden wie in den letzten Wochen. Müssen Backstuben jetzt die Hobbybäcker fürchten?
Die Brotbackszene ist keine Konkurrenz. Wenn ich als Konsument weiß, wie gutes Brot schmeckt, gehe ich trotzdem zum Bäcker und kann schätzen, was er macht. Aber man muss es einmal gekostet haben, muss wissen, wie es schmecken kann. Wenn ich es in der Kindheit nie gekostet habe, wie soll ich mich nach sonnengereiften Paradeisern, nach gutem Brot sehnen?
Kann man Geschmack entwickeln oder ist der Zug abgefahren, wenn man als Kind großteils von Fast Food und industriell gefertigten Produkten gelebt hat?
Es ist wie bei einer Zweitsprache, wenn man sie im Kindesalter lernen kann, ist das ein wunderbares Geschenk. Wenn ich mich später darauf einlasse, mein Geschmacksspektrum zu erweitern, ist es mühseliger. Man muss sich mit seinem Lebensmittel beschäftigen – kauft man sich ein Handy, recherchiert man ja auch stundenlang. Wir leben von dem, was wir essen, verstoffwechseln es, es hat Einfluss auf das, was wir tun. Geschmack muss ich mir erarbeiten, zum Ziel setzen, neugierig bleiben.
Brotbotschafterin Barbara van Melle über das Backen als Fähigkeit, die autark macht, die Verflachung des guten
Geschmacks und das Terroir im Mehl.
Sind Männer oder Frauen neugieriger, wenn es ums Brotbacken geht?
Es kommen so viele Männer zu uns, da hat sich etwas gewandelt. Früher war das Brotbacken in den bäuerlichen Haushalten angesiedelt, meist waren es die Frauen, die gebacken haben. Als mich meine 18-jährige Tochter in unserer Mehl-greißlerei besucht hat, hat sie festgestellt, dass auch viele junge Hipster hier einkaufen.
Warum war die Germ als eine der wenigen Zutaten während des Lockdowns fast ständig ausverkauft?
Am Beispiel Hefe ist klar geworden, dass die Globalisierung Nachteile hat – es gibt keine Hefeproduktion mehr in
Österreich.
Obwohl in der
Hochblüte des
Bäckerhandwerks in Wien die Presshefe erfunden wurde. Wir konnten in den Wochen des Lockdowns keine Workshops machen, also haben wir Videos auf Facebook gestartet – das Interesse war enorm. In einer Zeit der Unsicherheit, der Hamsterkäufe hat man erkannt, dass das Brotbacken eine Fähigkeit ist, die autark macht.