Ist das noch christlich-sozial?
Die ÖVP stellt sich einer Grundsatzdebatte über Sozial- und Gesellschaftspolitik.
Es war einer der häufigsten Vorwürfe, seit Sebastian Kurz die ÖVP übernahm: Die Partei hätte mit ihm ihre christlich-sozialen Prinzipien verraten. In Marketing und Inszenierung sei die Neue Volkspartei grandios, auf grundsätzliche Fragen gäbe sie aber keine Antwort. Fragen wie: Welchen Wert hat Familie? Welchen, wenn sie nicht aus Mutter, Vater und Kind besteht? Und welchen, wenn nicht alle im gleichen Land leben? Gilt das Aufstiegsversprechen noch? Für wen? Und für wessen Kinder? Auf eben jene Grundsatzdebatte über das Christlich-soziale lässt sich nun die Övpparteiakademie ein. Deren Präsidentin und Kurz-vertraute, Bettina Rausch, hat mit dem Wiener Philosophen Simon Varga ein 452-Seiten-werk herausgegeben. Es ist seit Langem das erste Grundlagenwerk aus dem Hause ÖVP. Zu Wort kommen 21 Autorinnen und Autoren aus Theologie, Wissenschaft und Politik. Die Suche nach dem Christlich-sozialen zieht dabei weite Kreise. Die Theologin Ingeborg G. Gabriel stellt „aufgrund nachwirkender historischer Erblasten“die Sinnhaftigkeit des Begriffs infrage und vermisst bei Politikern „eine echte Haltung von Solidarität, die jenen beistehen will, die kurz- oder langfristig Hilfe brauchen“. Der Feldkirchener Caritas-bischof Benno Elbs kritisiert den Begriff „Leistungsträger“und plädiert für eine Gesellschaft, die das Gefühl von Zugehörigkeit, Respekt und Anerkennung ermöglicht. Dem gegenüber steht der Schweizer Philosoph Martin Rhonheimer, der eine „Spiritualität des Teilens und Verzichtens“als „weltfremd, fortschrittsfeindlich und ökonomisch falsch“bewertet. Und der Ethiker Paul Tarmann kritisiert, dass es durch die „Ehe für alle“keine Unterscheidungsmöglichkeiten mehr gäbe „zwischen Familie und anderen Gesellschaftsformen“.
Der Band gibt keine abschließenden Antworten darauf, wie türkise Sozial- und Gesellschaftspolitik aussehen soll. Er zeigt aber das breite Spektrum an Positionen im türkisen Umfeld. Und, dass Grundsatzdebatten auch in einer straff geführten Partei fruchtbar sind. Veronika Dolna
Christlichsoziale Signaturen, edition noir, 452 Seiten, 14,90 Euro