„Das ,System Tönnies‘ ist mafiös“
den. Tönnies hebt da gern immer die Hände und sagt, dass sie keine Handhabe hätte, weil die Arbeiter bei Subunternehmern angestellt sind. Dieses Spiel spielen sie jetzt seit 20 Jahren, stellen sich als Unschuldslämmer dar und reden sich damit heraus, dass sie sich angeblich auch nicht einmischen dürften. Auch als die Behörden die Adressen der Arbeiter haben wollten, behauptete Tönnies, dass sie die Angaben aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht haben dürften. Auch das hat sich hinterher als Fake herausgestellt, denn die europäische Datenschutzgrundverordnung erlaubt das sehr wohl.
Können Sie einschätzen, wie viele Menschen in dem Gütersloher Werk über diese Vertragsform angestellt sind?
Das ist unterschiedlich, aber in der Regel sind es zwischen 50 und 80 Prozent der Komplettbelegschaft.
Sind unter diesen prekär Beschäftigten auch deutsche Arbeitnehmer?
Nein, es sind ausländische Arbeitnehmer aus Osteuropa, der Großteil aus Rumä nien oder Bulgarien. Die deutsche Belegschaft ist fest angestellt und arbeitet in aller Regel nicht in der Produktion, sondern in anderen Bereichen des Betriebs, und sie sind dadurch deutlich besser vor dem Virus geschützt. Deswegen fordern wir auch seit Jahren nicht, dass Werkverträge gänzlich abgeschafft werden, sondern wir fordern deren Abschaffung in den Kernbereichen: also der Schlachtung und der Zerlegung. Es kann doch nicht sein, dass die zentrale Aufgabe eines Betriebes von Externen übernommen wird.
Haben Sie als Gewerkschafter der „Nahrung-genuss-gaststätten“(NGG), die in Deutschland für die Fleischindustrie zuständig sind, gute Verbindungen in das Werk von Tönnies?
Die Werke von Tönnies sind gewerkschaftlich hundsmiserabel organisiert. Clemens Tönnies ist ein Gewerkschaftshasser und Patriarch. Im Stammwerk, mit einer Belegschaft von 7000 Menschen, gibt es nicht einmal einen Betriebsrat. Die Versuche, einen zu gründen, wurden immer torpediert.
Denken Sie dennoch, dass das Gesetz durchkommen wird?
Das denke ich schon. Bei einer Zdf-umfrage wurde kürzlich auch die Frage gestellt, wie die Bevölkerung schärfere Gesetze bei gleichzeitiger Steigerung der Fleischpreise fände, und da haben 92 Prozent der Befragten das sehr positiv gesehen – und der Skandal ist einfach zu massiv für die Politiker, um ihn noch zu ignorieren.
Dass die Bedingungen in der Branche mies sind, ist ja seit Jahrzehnten ein offenes Geheimnis. Warum denken Sie, dass es jetzt plötzlich auch in der Öffentlichkeit ein Umdenken gibt?
Wenn man so etwas erzählt, dann glauben die Leute es nicht. Jetzt haben die Menschen die Bilder vor Augen, und das erzeugt Betroffenheit. Corona funktioniert wie ein Brennglas, aber es ist traurig, dass es erst so weit kommen musste.
Die großen Fleischproduzenten beteuern ja jetzt, dass sie freiwillig alles ändern würden. Das, was vor drei Wochen noch „unmöglich“war, soll jetzt möglich werden: Sie wollen die Arbeitnehmer selbst beschäftigen. Aber solange die Arbeiter nicht an die Stammbelegschaft angegliedert werden, wird sich nichts ändern. Deswegen sind wir als NGG auch bei keinem runden Tisch, weil wir sagen, die haben uns 20 Jahre verarscht. Es braucht jetzt harte Gesetze, die konsequent durchgesetzt werden und keine Schlupflöcher haben.