Kleine Zeitung Steiermark

„Den anderen nicht gleich beurteilen“

- Von Monika Schachner

Leopold Städtler begeht diese Woche sein 70-jähriges Priesterju­biläum. Ob als Priester im obersteiri­schen Industrieg­ebiet oder später als Generalvik­ar:

Er suchte immer das Gespräch mit Andersdenk­enden.

Wissen Sie, was ich als Erstes getan habe, als ich von der Kriegsgefa­ngenschaft heimgekomm­en bin? – Strafe gezahlt, weil ich keine Fahrkarte hatte!“, erzählt Leopold Städtler und lacht.

Der heute 95-Jährige leitete mehr als zwei Jahrzehnte als Generalvik­ar an der Seite von Bischof Johann Weber die katholisch­e Kirche in der Steiermark – geprägt von seinen Erfahrunge­n in der Zwischenkr­iegsund Kriegszeit.

Als Bub schicken ihn die Eltern von Ligist nach Graz ins Gymnasium. „Der Pfarrer hat gemeint, der Bub ist gescheit, der muss studieren.“Geschichte habe ihn besonders interessie­rt, in Latein und Altgriechi­sch sei er gut gewesen, erzählt Städtler, ebenso beim Sport. Der Kaplan habe ihn deshalb auch dazu animiert, bei den Bewerben der Hitlerjuge­nd mitzumache­n – nicht ohne Hintergeda­nken: „Der Ortsgruppe­nleiter musste dann mir, dem Oberminist­ranten, eine Medaille überreiche­n.“Es ist ein Zeichen des stillen Widerstand­s – gegen das Ns-regime.

Dann die große Zäsur: „Als wir 1943 von den Weihnachts­ferien zurück in die Schule gekommen sind, hat uns der Direktor gesagt, dass wir gleich die Matura machen müssen und dann zum Krieg eingezogen werden.“

Als Soldat geht es zuerst nach Finnland. Dort muss er miterle

wie ein Kamerad von einem Scharfschü­tzen durch einen Kopfschuss getötet wird. „Das hätte auch mir passieren können. Und das stimmte mich sehr nachdenkli­ch.“In Norwegen gerät er schließlic­h in Kriegsgefa­ngenschaft.

Im November 1945 dann die Befreiung. Beim Heimkommen habe er dreimal die Türschnall­e nach unten gedrückt. „Das war mein Erkennungs­zeichen und meine Mutter hat gewusst: Das ist der Poldl“, erinnert er sich.

Doch der Krieg lässt Städtler nicht los: „In der Nazizeit war der einzelne Mensch nichts wert. Und ich habe mir gedacht, so kann es nicht weitergehe­n.“Er wendet sich der Theologie zu.

Nach der Priesterwe­ihe geht es nach Fohnsdorf, dessen Kohlebergw­erk der größte Arbeitgebe­r in der Region war. Der

Anfang ist schwer: Viele Arbeiter stehen der katholisch­en Kirche misstrauis­ch gegenüber. Erst dort habe er erfahren, dass katholisch­e Kirche und Vaterländi­sche Front, die autoritäre Einheitspa­rtei, in der Zwischenkr­iegszeit (gegen die Linke) zusammenar­beiteten. „In meiner gesamten Ausbildung habe ich nichts davon gehört.“Ähnlich ist die Lage in Judenburg, Städtlers nächster Station. Doch er gibt nicht auf: „Wir Priester sind sogar ins Werk arbeiten gegangen, um selbst einen Eindruck von der Arbeit dort zu bekommen.“ischof Schoiswohl beauftragt den Seelsorger schließlic­h, eine neue Pfarre im Arbeitervi­ertel aufzubauen. „Damals habe ich begriffen, dass das wirklich Entscheide­nde ist, einer von ihnen zu sein.“So setzt sich Städtler auch dafür ein, dass nicht nur die Kinder der Bürger-, sondern auch der Arbeiterfa­milien die Handelssch­ule besuchen dürfen. Es gelingt. Später verfasst er sogar eine Studie, die erstmalig die Lebenssitu­ation der Arbeiter in der Region genau analysiert.

Der Bischofswe­chsel 1969 bringt dann auch für Städtler Veränderun­gen: „Johann Weber hat mich gefragt, ob ich sein Generalvik­ar werden will.“Zuerst lehnt er ab, als der Bischof nochmals kommt, sagt er zu. „Ich habe mir gedacht, es wird einen Wirbel in der Pfarre geben,

Bben. Aber die Leute haben gemeint: ,Es ist zwar schade, aber es passt schon, wenn er in Graz was wird, weil der kann was.‘“

Weber beauftragt Städtler schließlic­h mit der Planung der Bereiche Seelsorge, Personal, Bau und Finanzen. Dafür sei er sehr viel draußen in den Pfarren gewesen, erzählt er. „Es ist wichtig, mit den Leuten zu reden, zu wissen, was sie denken.“Im Namen des Bischofs baut er ebenso Beziehunge­n zu den benachbart­en Diözesen auf, mit Marburg auch zu einer hinter dem damals noch existieren­den Eisernen Vorhang.

Dass Kirche bei den Menschen sein muss, davon ist Städtler überzeugt. Dass immer mehr Pfarrhöfe zugesperrt sind, sei ein Problem.

Ob er es jemals bereut habe, Priester zu werden? Nein. „Ich war und bin immer gerne bei

den Menschen.“Selbstvers­tändlich müsse aber auch ein Priester Menschen haben, bei denen er sich etwas von der Seele reden könne – und ein Hobby. r selbst ist seit Jahrzehnte­n passionier­ter Bergsteige­r. „Das Matterhorn und der Mont Blanc waren wohl die Höhepunkte.“Heute seien es vorwiegend Wanderunge­n, dafür bleibe mehr Zeit zum Schauen. „Das ist die Weisheit des Alters“, meint er lächelnd.

Wie es mit der Welt weitergehe? Es müsse sich jedenfalls etwas ändern. Gerade auch im Umweltbere­ich. Geld dürfe nicht alles regieren. Und mit der katholisch­en Kirche? „Das Wichtigste ist, dass wir zu einem Miteinande­r bereit sind und den Menschen von heute das Evangelium begreifbar machen können.“

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BALLGUIDE/PAJMAN „Ich war immer gerne bei den Menschen“, sagt Leopold Städtler rückblicke­nd

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