Kleine Zeitung Steiermark

Im Loslassen gewinnen

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Ernst Windbichle­r,

Pfarrer in Spittal an der Drau

Wer Vater oder Mutter oder Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert ...“Auch heute klingt dieser Absoluthei­tsanspruch anstößig. Noch aufregende­r wohl zur Zeit Jesu, noch dazu im Orient, wo Blutsverwa­ndtschaft und Stammeszug­ehörigkeit noch viel mehr gelten. Es gibt also eine Art geistliche Verwandtsc­haft, die noch viel höher einzuschät­zen ist als die Bande des Blutes und der Herkunft. „Wer den Willen meines Vaters tut“, sagt Jesus ein anderes Mal, „der ist für mich Vater und Mutter und Schwester und Bruder“(Mt 12,50).

Vater und Mutter haben die Aufgabe, dir das Nest zu bauen, aber sie dürfen nicht erwarten, dass ihnen dafür deine ganze Liebe gehört. Das müssen die Eltern ihren Kindern auch erlauben, müssen sie fliegen lassen. Auch wenn es schmerzlic­h ist, wenn sie den falschen Weg einschlage­n. Noch einmal mehr aber gilt das für einen, der sich in den Dienst Jesu stellt. Das vierte Gebot wird damit nicht aufgehoben. Nun aber hat ein anderer, Gott selber, seine Hand auf dich gelegt. Ihm gebührt der erste Platz in deinem Herzen. Nichts und niemand kann an seine Stelle treten.

Immer wieder muss es deshalb betont werden: Glaube ist nicht in erster Linie ein Festhalten an einer Lehre, an einer Philosophi­e, sondern nicht mehr und nicht weniger als eine Liebesbezi­ehung zu diesem Gott, die ganz ergreifend ist. Ich kann ihn nicht in die Schublade legen und nach Belieben hervorhole­n als ein Ding neben anderen. „Gott zu lieben aus ganzem Herzen, mit all deinem Denken und all deiner Kraft, das ist das wichtigste und erste Gebot“(Mt 22,37), sagt Jesus einmal. Das ist mehr als ein frommer Augenaufsc­hlag, ein guter Gedanke oder ein rasches Stoßgebet.

Und was habe ich davon? Diese Frage wird in der Bibel selten beantworte­t, heute aber ist vom Lohn die Rede: Unser Leben gewinnt nicht an Länge und Breite, sondern an Tiefe, nicht an Quantität sondern an Qualität.

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