Abstimmen für die Zukunft Putins
„Tu etwas Nützliches“: Wer an der Volksabstimmung über die Änderung der russischen Verfassung teilnahm, konnte sogar eine Eigentumswohnung gewinnen. Mit einer massiven Kampagne warb der Kreml-chef für
sein Projekt – offenbar erfolgreich.
Die Frau vor dem Wahllokal 151 trägt eine dunkle Sonnenbrille und lächelt: „Klar, ich habe mit Ja gestimmt, für das zaristische, für das sowjetische, das heutige Russland, dafür, dass wir alle zusammenbleiben.“Ihr Begleiter nimmt die Sonnenbrille ab, seine Locken sind grau, die Augen nachdenklich. „Wir stammen beide aus Abchasien, ich habe dort 1992 gekämpft, im Krieg gegen die Georgier, ich weiß, was Zusammenbruch bedeutet.“Natürlich, Putins System sei totalitär, Putin habe alles an sich gerissen. „Aber er bedeutet Stabilität.“
Auf dem Wahllokal 151 in Moskau lasten vier Stockwerke Backstein und Stahl, am Eingang schimmert neben dem weiß-rot-blauen Plakat mit dem Schriftzug „Unser Land, unsere
unsere Entscheidung“eine kleine Tafel: „Museum der Geschichte des Gulags“. Eine der wenigen russischen Gedächtnisstätten für den Archipel Gulag, das System der sowjetischen Straflager, wo Millionen Unschuldige umkamen. Auch im Museum wird seit einer Woche über die Verfassungsreform abgestimmt, die Wladimir Putin, dem Mann aus den sowjetischen Sicherheitsorganen, den Weg zu zwei weiteren Amtszeiten als russischer Staatschef eröffnen soll. Offenbar erfolgreich. Laut der ersten amtlichen Hochrechnung nach Auszählung von 26,55 Prozent der Stimmen votierten mehr 73 Prozent der Russen für die Verfassungsänderungen.
Vor dem Gulag-museum herrscht Stille. Kaum Wähler, keine Passanten. Nur auf dem gegenüberliegenden Gehsteig stehen zwei Frauen mit einem Zwergschwein an der Leine. Der Wind raschelt in den Birken dahinter. Es sind träge Sommertage in Russland. Fast scheint es, als liege die Wählerschaft noch im Dornröschenschlaf, aus dem sie die Obrigkeit wachzurütteln sucht.
Seit Wochen beteuern Promis, Kriegsveteranen oder Kinder in den Werbefilmen, die Würde, Gesundheit und Karrieverfassung, rechancen der Russen hingen von der neuen Verfassung ab. in Video der Zentralen Wahlkommission zeigt eine junge Frau. Sie schlägt sich mit Hausputz und Kindern herum, ihr Mann faulenzt auf dem Sofa, bis sie ihn anfährt, er solle endlich auch etwas tun. Er verschwindet, kehrt zurück, als aufgeräumt ist und die Kinder schlafen. Wo er gewesen ist? „Abstimmen für die Verfassung. Geh du auch, tu etwas Nützliches!“
Dennoch zweifeln viele Russinnen am Nutzwert dieser Abstimmung. „Für so etwas habe ich keine Zeit“, erklärt Jana, eine Moskauer Juristin. „Ich muss mein Kind beim Zahnarzt anmelden.“Verfassungsänderungen, die lästiger sind als ein Zahnarztbesuch, obwohl das Staatsfernsehen immer wieder
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