Amtszeit-verlängerung
ihre soziale und sittliche Unverzichtbarkeit beteuert. Und obwohl es dabei hartnäckig jene etwas umständlich formulierten Sätze in Artikel 81, Absatz 3, verschweigt, die es Wladimir Putin ermöglichen, bis 2036 Präsident zu bleiben.
Vor dem Votum gab es immer mehr Putin auf den Bildschirmen. Seit Monaten redet er in Sondersendungen live und ausführlich auf das Fernseh-volk ein, am Ende mehrmals wöchentlich. Dass Putin in einem hermetischen Gummianzug durch eine Corona-klinik tappte, feiert das Staatsfernsehen noch nach Monaten, als hätte er wie der junge Napoleon einen Pestkranken geküsst. Aber viele Russen scheinen sich an ihrem Staatschef sattgesehen zu haben; laut dem unabhängigen Levada-zentrum lag Putins Ver
kann Putin in den nächsten 16 Jahren mit mehr Befugnissen im Amt bleiben. Nach aktuell gültiger Verfassung wäre in vier Jahren Schluss gewesen. Die Wähler stimmten über ein Paket von Änderungen ab, darunter das Versprechen, die Renten jährlich anzupassen.
trauensrate im Mai nur noch bei 25 Prozent, im Jänner waren es noch 35 Prozent.
Vielleicht hat man deshalb die Abstimmung auf eine ganze Woche gestreckt; nach Medienberichten liefen Agitation, Nötigung und Urnengang parallel. Ein Bbc-reporter geriet zufällig in einen Whatsappchat, wo Mitarbeiter der Moskauer U-bahn Gewerkschaftsfunktionären bestätigen mussten, dass sie abgestimmt hatten – zum Teil per Screenshots. In vielen Regionen zogen mobile
Gruppen durch Wohnblocks, um vor allem Rentner zur Abstimmung zu überreden. Provisorische Wahllokale wurden vor Supermärkten, sogar in Hausfluren aufgebaut, man lockte die Urnengänger mit Lotterielosen, bei denen man in Moskau Kinokarten, im sibirischen Omsk sogar Wohnungen gewinnen konnte. Laut der Zeitung „Kommertscheskie Westi“waren viele Lose gezinkt. Und zufälligerweise gewann die Leiterin des Wahllokals Nummer 1352 eine Einraumwohnung.
Allerdings bezweifeln unabhängige Medien angesichts dokumentierter Fälle von Mehrfach-stimmabgaben, Masseneinwurf von Wahlzetteln und Stimmenkauf die offiziellen Zahlen. Alternative Exit Polls der Oppositionsgruppe Njet meldeten gestern am Abend in Moskau 44,91 Prozent Ja- und 54,89 Prozent Neinstimmen, in Sankt Petersburg 36,69 Ja- und 63,07 Prozent Neinstimmen.
Und die Oppositionsaktivistin Natalja Subkowa aus der sibirischen Stadt Kisseljowsk erzählt, sie werde erst am Abend ins Wahllokal gehen. „Aber ich stimme nicht ab, ich schaue nur, welche meiner Nachbarn auf der Wahlliste stehen. Die will ich dann fragen, ob sie wirklich abgestimmt haben.“Das könne lustig werden.
Auch andere Russen halten eine Teilnahme für eher müßig. Ganz unrecht haben sie damit wohl nicht: In Moskauer Buchläden lag die neue Verfassung mit Putins gestrichenen Amtszeiten schon im Regal, als die Abstimmung noch in vollem Gange war – für umgerechnet 31 Cent konnte man ein Exemplar erstehen. uf dem Kinderspielplatz gegenüber dem Gulagmuseum sitzt ein junges Paar auf der Bank und unterhält sich lachend. Auf die neue Verfassung angesprochen, wird der Ingenieurstudent ernst. Er werde dagegenstimmen. „Ich bin kein Oppositioneller“, sagt er – aber er wolle er nicht ewig von Putin regiert werden.
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