Kleine Zeitung Steiermark

Zur Person

- Jean Asselborn Wie sollte die EU reagieren, sollte Israel große Teile des Westjordan­lands annektiere­n?

kam 1949 in einer luxemburgi­schen Arbeiterfa­milie zur Welt. 22 Jahre lang war der Sozialdemo­krat Bürgermeis­ter seiner Heimatstad­t, seit 2004 ist er Außenminis­ter des Großherzog­tums und damit dienstälte­ster Außenminis­ter der EU. Gestern wurde die von der ehemaligen Journalist­in Margaretha Kopeinig verfasste Biografie „Merde alors!“in Wien präsentier­t.

Der Titel spielt auf einen Eklat mit dem italienisc­hen Rechtspopu­listen Salvini am Rande eines Eu-treffens im Herbst 2018 in Wien an.

Das weiß ich nicht. Wenn man in der Frage, ob eine Annexion gegen Völkerrech­t verstößt, keine klare Linie hat, ist es für eine europäisch­e Regierung schon sehr erstaunlic­h.

Es gibt selbst in Israel Bedenken gegen den Schritt, man darf aber auch nicht naiv sein. Vielleicht macht es

Israel in Schritten. Als Us-außenminis­ter

Pompeo die Siedlungen in Israel verstoßen nicht gegen internatio­nales Recht, wusste ich, dass das kommen wird. Ich verstehe es nicht. Israel braucht doch nicht die Annexion für seine Sicherheit. Wir müssen an die Menschen denken, die da leben. Ich fürchte, die Palästinen­ser werden nicht die israelisch­e Staatsbürg­erschaft nehmen. Entweder werden sie vertrieben, oder man lebt in einem Apartheid-system. 25 von 27 Eu-regierunge­n haben im Mai schon festgehalt­en, dass die Annexion gegen internatio­nales Recht verstößt. Sanktionen brauchen die Einstimmig­keit, das ist schwierig. Ich wäre dafür, dass so viele europäisch­e Staaten wie möglich ein symbolisch­es Zeichen setzen und den Palästinen­sern die Möglichkei­t eines eigenen Staates zugestehen sollten. Ein solcher Schritt wäre nicht gegen Israel gerichtet.

Wir sollten formell anerkennen, dass die Palästinen­ser ein Recht auf einen eigenen Staat haben, wie jedes andere Volk auch. Israel ist ein Leuchtturm der Demokratie in der

Region, deshalb ist es mir ein Rätsel, warum Israel nicht versteht, dass eine Zweistaate­nlösung die einzige Chance ist, um in Frieden zu leben.

Klar.

Wenn Merkel 2015 die Grenzen geschlosse­n hätte, wäre wegen der gewaltigen Migrations­ströme am Balkan ein Krieg ausgebroch­en. Ich weiß nicht, was es für Österreich bedeutet hätte. Österreich hat damals sehr viel gemacht. Nur, wir haben noch immer viele Menschen, die über das Mittelmeer flüchten. In Österreich scheint ja das Argument, man könne die Menschen nicht aufnehmen, weil das einen Pull-effekt nach sich zieht, eine Staatsdokt­rin zu sein. Das ist falsch, denn so ist man völlig unsolidari­sch gegenüber Italien, Spanien und Malta, wo die Flüchtling­e landen.

Kurz wollte ja einmal eine Insel im Mittelmeer mieten, das ist das australisc­he Modell. Österreich hat 2015 viel gemacht, aber das Leben geht weiter.

Zu den gewaltigen Coronahilf­spaketen, die im Juli beim Eugipfel beschlosse­n werden: Ist es antieuropä­isch, wenn Nettozahle­r wie Österreich eine gewisse Skepsis an den Tag legen?

Die Österreich­er sind ja nicht skeptisch. Sie wollen nur, dass man Kredite gewährt, keine Subvention­en. Das ist irreführen­d. Italien und Spanien haben nicht die Kraft, um mit Krediten aus der Krise herausmein­te, zukommen. Was ich auch nicht verstehe: Warum gründet man den Verein „Die frugalen Vier“, wenn man weiß, dass er keine lange Lebensdaue­r hat? Da sich Merkel und Macron einig sind, wird das Paket das Licht der Welt erblicken. Zielführen­der wäre doch die Debatte: Welche Kriterien bauen wir auf, damit das Geld sinnvoll ausgegeben wird? Ich bin für jede sinnvolle Diskussion, ich bin aber dagegen, dass man sich hinstellt und sagt: Wir geben Kredite, die wir dann in zwei Jahren zurückbeko­mmen. Die frugalen Vier führen die Bevölkerun­g in die Irre.

Es ist antieuropä­isch, wenn man den Menschen einredet: Wir geben Kredite, die die Länder in zwei Jahren zurückzahl­en, obwohl man genau weiß, dass das nie der Fall sein wird.

Ja, so ist es. Wenn man den Menschen vorgaukelt, dass man das mit Krediten bewältigen will, sagt man nicht die Wahrheit.

Ich höre, dass Österreich auf Zeit spielt und eine Lösung im Herbst anstrebt. Das verstehe ich nicht. Es kann doch nicht im Interesse Österreich­s sein, wenn in Italien die Wirtschaft am Boden ist und die Arbeitslos­igkeit bei 30 Prozent liegt. Wir können doch nicht in Italien nur in die Ferien gehen, und der Rest ist uns egal. Es soll alles bis ins Detail diskutiert werden, aber es sollte eine Lösung vor den Sommerferi­en geben. Das wäre europäisch.

fordert ein höheres Arbeitslos­engeld statt einer bescheiden­en Einmalzahl­ung in der Krise.

 ??  ?? Österreich und Ungarn im Frühjahr aus der Eu-phalanx ausgebroch­en sind und von einer Verurteilu­ng des Us-nahostplan­s Abstand genommen haben? Die Anbiederun­g an Trump?
Sollte Israel wie vorgesehen in diesen Tagen das Westjordan­land annektiere­n, wie sollte Europa reagieren? Die Beziehunge­n auf Eis legen? Die Botschafte­r einbestell­en?
Was hieße das völkerrech­tlich?
Sie hoffen, dass Biden die Wahl gewinnt?
Zurück zur Migrations­frage: Warum geißeln Sie permanent Österreich? Österreich hat 2015 mehr als 100.000 Flüchtling­e aufgenomme­n, da können wenige andere Länder mithalten.
Kurz meint, die Leute sollte man wieder zurückschi­cken?
Ist es antieuropä­isch, wenn man aufs Geld schaut?
Zwei der vier Frugalen sind Ihre Parteifreu­nde. Die Sozialdemo­kratie ist also auch keine Feuermauer mehr. Sind die auch antieuropä­isch?
Wer Europa kennt, weiß, dass es am Ende des Tages eine Lösung geben wird.
Österreich und Ungarn im Frühjahr aus der Eu-phalanx ausgebroch­en sind und von einer Verurteilu­ng des Us-nahostplan­s Abstand genommen haben? Die Anbiederun­g an Trump? Sollte Israel wie vorgesehen in diesen Tagen das Westjordan­land annektiere­n, wie sollte Europa reagieren? Die Beziehunge­n auf Eis legen? Die Botschafte­r einbestell­en? Was hieße das völkerrech­tlich? Sie hoffen, dass Biden die Wahl gewinnt? Zurück zur Migrations­frage: Warum geißeln Sie permanent Österreich? Österreich hat 2015 mehr als 100.000 Flüchtling­e aufgenomme­n, da können wenige andere Länder mithalten. Kurz meint, die Leute sollte man wieder zurückschi­cken? Ist es antieuropä­isch, wenn man aufs Geld schaut? Zwei der vier Frugalen sind Ihre Parteifreu­nde. Die Sozialdemo­kratie ist also auch keine Feuermauer mehr. Sind die auch antieuropä­isch? Wer Europa kennt, weiß, dass es am Ende des Tages eine Lösung geben wird.
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