Das Ende der Gemütlichkeit
Alle 14 Tage eine lebenserleichternde Maßnahme, das war einmal. Die jüngsten Corona-ausbrüche in Linz und Graz erinnern uns an die Wirklichkeit: Nichts ist vorbei.
Es war wie ein kollektives Aufatmen, die langsame, für manche zu langsame Rückkehr immer neuer Lebensbereiche zu einer gewissen Normalität. Da eine Zugangsbeschränkung weniger, dort ein Freiheitsrecht mehr, bis am Ende nur noch Öffi-nutzer und Friseurkundschaft an den Masken erkennbar waren – irgendetwas stimmt hier nicht.
Es stimmte aber auch im Rest der Republik etwas nicht. Die niedrigen Zahlen täglicher Neuansteckungen täuschten darüber hinweg, dass allenfalls ein Etappensieg zu verzeichnen war, dass die Kurve jederzeit wieder exponentiell ansteigen konnte und kann. Und plötzlich stellt sich wieder dieses diffuse Gefühl der Bedrohung ein, gefolgt vom Stoßseufzer: „Nicht schon wieder.“
Natürlich ist die Situation nicht vergleichbar mit der im März. Damals traf die Krankheit eine völlig unvorbereitete, arglose Bevölkerung und Regierung. Damals hatte niemand eine Maske daheim und die Regierung allenfalls die von Maria Rauch-kallat vor Jahren angeschafften Restbestände. Damals kannte niemand die Eigenschaften des Virus und Babyelefanten kannten wir von der Fotosafari. Gegrüßt wurde mit Bussibussi, ein Händedruck galt als eher distanzierte Geste. Die Umarmung der Braut durch Hunderte illuminierte Hochzeitsgäste war eine Selbstverständlichkeit und niemand zählte die Trauernden, die Abschied von einem lieben Verstorbenen nehmen wollten. Schon der Gedanke an solche Verhaltensweisen wäre uns wie die Szene aus einem schlechten Horrorfilm erschienen.
Heute wissen wir, wie Ansteckung funktioniert. Wir kennen die Tücke des verspäteten Ausbruchs der Krankheit, die ihr nächstes Opfer schon sucht, bevor sie das erste noch niedergeworfen hat. Kurz, wir wissen, was wir tun müssten, um Ansteckung zu vermeiden. Wir haben nur keine Lust mehr dazu, und die guten Zahlen, die wir drastischen und in vielfacher Hinsicht kostspieligen Maßnahmen zu danken haben, scheinen uns recht zu geben. Schienen. un wird deutlich, was eigentlich immer bekannt war: Ein Virus wie dieses kann erst dann als besiegt gelten, wenn ein Impfstoff dagegen gefunden ist. Davon aber kann noch keine Rede sein. Bis dahin bleibt uns nur die Vernunft als Waffe. Sie muss sich gegen die Instinkte wehren. Gegen den Instinkt, Gefühle auch gestisch zum Ausdruck zu bringen, den Instinkt, die Nähe anderer Menschen zu suchen, die Sehnsucht nach kollektiven Erlebnissen. All das ist derzeit rationiert und wird es auf absehbare Zeit bleiben. Je sorgloser wir mit diesen milden Begrenzungen umgehen, desto eher müssen sie wieder starren Barrieren weichen, die uns alles dessen berauben, was uns in den letzten Wochen so gefehlt hat.
Wollen wir einen Rückfall verhindern, müssen wir bewusst das geringere Übel wählen. Wir müssen uns geringfügige Selbstbeschränkungen auferlegen, um die Rückkehr der beklemmenden Zwangsdistanzierung zu verhindern, die wir grade überwunden haben.
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