Kleine Zeitung Steiermark

Schallenbe­rg in Rom: Das Jüngste Gericht gibt es nur in der Sixtina

- Auch wenn Schallenbe­rg Stefan Winkler, Rom

Die Dissonanze­n sind unüberhörb­ar. Doch Wien und Rom bemühen sich, die aktuellen Misstöne mit Sympathieb­ekundungen zu überspiele­n.

Michelange­los Jüngstes Gericht in der Sixtinisch­en Kapelle in Rom ist das Werk eines zornigen Mannes. In einer atemberaub­enden Kaskade ineinander verschlung­ener Leiber stürzen die Verdammten in die Hölle, während sich die Auserwählt­en mühsam aus ihren Gräbern emporkämpf­en.

Doch für jene, die es ganz nach oben geschafft haben, ist das Drama noch lange nicht vorbei. Unter dem drohend erhobenen Arm des jugendlich­en Auferstand­enen geht der Kampf weiter, die Erlösung scheint unendlich fern.

Staunend steht Alexander Schallenbe­rg an diesem drückend heißen Julitag vor dem berühmten Fresko. Der Besuch in der Sixtina bildet – gefolgt von einem Treffen mit dem Chefdiplom­aten des Vatikans, Paul Gallagher – den Auftakt zu einer eintägigen Reise, die Österreich­s Außenminis­ter am Freitag nach Italien führte.

Das wogende Auf und Ab auf dem gewaltigen Wandgemäld­e kann dabei in einer profaneren Lesart durchaus als Sinnbild für die wechselhaf­ten Beziehunge­n Österreich­s zum südlichen Nachbarlan­d herhalten, um die es seit einigen Jahren nicht wirklich gut bestellt ist: Erst waren es die Migrations­ströme, die die wirtschaft­lich eng miteinande­r verwobenen Länder entzweiten. Als Wien 2016 mit der Schließung des Brenners drohte und die Verteilung von Flüchtling­en nach fixen Quoten boykottier­te, war die Empörung darüber in Rom groß. Dann erzürnte die türkis-blaue Vorgängerr­egierung die Italiener mit ihrer Doppelpass-forderung für Südtiroler, die nicht einmal unterhalb des Brenners auf großes Echo stieß. Und nun, in der Coronakris­e, sorgen die Grenzschli­eßungen und die Debatte um die Position der „Sparsamen Vier“gegen eine Vergemeins­chaftung von Schulden erneut für Verwerfung­en.

vor den mitgereist­en Journalist­en die Verstimmun­gen bestreitet, ist er im Vorfeld seines Treffens mit seinem italienisc­hen Amtskolleg­en Luigi Di Maio von der Fünf-sterne-bewegung dann doch sichtlich bemüht, die Wogen zu glätten. Seine Visite sehe er auch als „Akt der Anerkennun­g für das, was hier gelitten und geleistet wurde“, sagt der Außenminis­ter und illustrier­t das Zusammenrü­cken infolge des Virus mit einem plastische­n Bild: In der Coronakris­e sei es „wie bei einem Wasserrohr­bruch oder Brand“gewesen, wo der Wohnungsna­chbar plötzlich viel wichtiger werde. „Wir haben auf einmal wahrgenomm­en, wie abhängig wir auch vom kleinen Grenzverke­hr sind.“

Tatsächlic­h hat sich bei vielen Italienern schon seit Längerem das Gefühl breitgemac­ht, zu den Verlierern der Gemeinscha­ftswährung Euro zu gehören. Schallenbe­rg weiß um die Brisanz dieses Klimaumsch­wungs in einer der Gründernat­ionen der EU und deutet im Ringen um den Wiederaufb­aufonds wohl auch deshalb Beweglichk­eit an. Dass es für straucheln­de Länder Hilfe geben müsse, sei unbestritt­en. Aber die vorgeschla­gene Balance zwischen Zuschüssen (zwei Drittel) und Krediten (ein Drittel) „passt noch nicht“. Divergenze­n mit „seinem Freund“Schallenbe­rg beim Wiederaufb­aufonds räumt auch Italiens Außenminis­ter Di Maio bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz ein, ohne diese freilich zu präzisiere­n. Beide wägen die Worte mit der Goldwaage. Was jetzt zähle, sei, rasch einen Kompromiss zu finden, ist man sich einig.

Die Fronten sind also keineswegs so erstarrt, wie es scheint. Und schon gar nicht droht zwischen Wien und Rom ein Weltenende wie jenes in der Sixtina.

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APA/BMEIA/GRUBER Atemberaub­ende Kulisse: Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg am Beginn seines Besuches in Rom. Später traf er auf seinen italienisc­hen Amtskolleg­en Luigi Di Maio

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