„In den Herzen der Menschen hat man viel zerstört“
Er war Minister, Eurogruppenchef, Premierminister und schließlich Präsident der Eu-kommission: Jean-claude Juncker spricht über Österreich und die „frugalen Vier“, über Solidarität bei der Verschuldung und darüber, warum er seinen Urlaub am liebsten in Tirol verbringt.
nige wegen der Pandemie sogar absolut Notwendiges infrage stellen. Bei der Ein-prozentgrenze kann es nicht bleiben.
Hauptargument von Österreich ist, man wolle keine Vergemeinschaftung von Schulden.
Die Sorge ist verständlich, sie trifft aber in der holzschnittartigen Beschreibung nicht zu. Es geht ja nicht darum, Altschulden zu vergemeinschaften, sondern die neu anstehenden Schulden – niemand streitet ab, dass sie für eine Krisenantwort gemacht werden müssen – solidarisch zu finanzieren. Es geht nicht darum, dass die Menschen in Österreich, die ich sehr mag, in Haftung genommen werden für Fehler der Vergangenheit. Es ist im Interesse Österreichs, dass Italien mit der besonderen Last der Pandemie zurande kommt. Es ist doch klar, was passiert, wenn sich die europäische Wirtschaft negativ entwickelt. Wenn es um die 500 Milliarden Zuschüsse geht, die zielorientiert zur Anwendung kommen müssen, muss das im Einklang mit den europäischen Programmvorgaben geschehen, etwa dem „Green Deal“. Das ist ja kein Helikoptergeld, über das die Regierungen entscheiden können. Rat und Kommission müssen für einen zweckdienlichen Umgang sorgen. Ich erlaube mir den Hinweis auf den „Juncker-plan“, der mittlerweile 514 Milliarden Euro an neuen Investitionen hervorgebracht hat. Man darf nicht vergessen, dass es ja auch 27 nationale Konjunkturprogramme gibt.
Wenn es keine geschlossenen Antworten gibt, scheitern die Wachstumsansätze für die nächsten Jahre. Sehr schnell wird eine Erholung nicht passieren, ich sehe das eher Ende 2021 oder Anfang 2022. In Europa ist zwei plus zwei immer mehr als vier. Es braucht ein Herzgefühl und die vernünftige Art, Probleme zu lösen.
Aber kommt dann am Ende nicht doch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten heraus?
Wenn wir keine adäquate Krisenantwort finden, wird es keine Nettogeber mehr geben, dann wird es nur noch Nettoverlierer geben. Ich war auch immer gegen diese Aufteilung in Nettozahler und Nettoempfänger. Die Nettozahler müssen sich fragen, wenn das Mutterland der Rabatte, Großbritannien, aus der Union ausscheidet, warum man dann unbedingt an Rabatten festhalten will. Meine Kommission hat vorgeschlagen, dass man die nach unten korrigiert. Angesichts der Größe des Problems finde ich, dass Solidarität ein Gebot der Stunde bleibt. Solidarität und Solidität gehen zeitversetzt zusammen.
Österreich hat bei Kommissarin Vestager verlangt, das Beihilfenrecht völlig auszusetzen.
Auch während der Flüchtlingskrise hat meine Kommission vieles „kassiert“. Es wurden etwa in Deutschland Flüchtlingsheime gebaut ohne lange Ausschreibungsverfahren, das hätte zu lange gedauert. Dass man sich jetzt überlegt, was hinterfragt gehört, ist nicht abwegig. Aber das Kind mit dem Bade auszuschütten, ist nicht zielführend. Wenn wir das abschaffen, würden die finanzkräftigen und großen Staaten – zu letzteren gehört Österreich nicht – massive nationale Zuwendungen machen.
Diese Woche gab es wieder eine Brexit-runde. Chefverhandler Michel Barnier macht von Mal zu Mal einen grantigeren Eindruck.
Barnier wird nicht grantig, er spricht klar aus, was die 27 Mitgliedsstaaten denken. Es gibt eine Übereinkunft von Boris Johnson und mir von Oktober 2018, wo die zukünftigen Beziehungen festgezurrt werden. Der Versuch, aus diesem einvernehmlichen Korsett aus Gott weiß was für Gründen – wahrscheinlich aus innenpolitischen – auszubrechen, trifft auf den Widerstand der EU-27. Ich habe den Eindruck, die Briten steuern bewusst auf einen No Deal zu. Das wird vor allem Großbritannien Schaden zufügen.
Theresa May hat seinerzeit versucht, bilateral zu verhandeln.
Wir haben uns sehr bemüht, den Zusammenhalt zu gewährleisten. Ich habe in den letzten Tagen mit mehreren Regierungschefs gesprochen, soweit ich sehe, bleibt die Einheit der 27 intakt. May wollte da immer kleine Sprengsätze platzieren. Das haben wir verhindert.
Kommen Sie heuer wie immer auf Urlaub nach Tirol?
Ich bin im August wieder dort, ich will diese Wochen beim Stanglwirt in Going nicht missen. Ich fühle mich da pudelwohl, habe auch sehr viele freundschaftliche Kontakte in Tirol. Da lande ich immer wieder glückseligst.
Ökologischer Wiederaufbau