Fehlendes Bewusstsein
Der menschengemachte Mythos der absoluten Beherrschbarkeit der Natur macht viele glauben, sicher zu sein. Doch das ist trügerisch, wie jüngste Unfälle mit Steinschlägen zeigen.
Es waren Steinschläge, die einmal mehr eine Lawine an Fragen zur Sicherheit am Berg losgetreten haben. Vier Todesopfer – in der steirischen Bärenschützklamm sind am vergangenen Mittwoch drei Menschen ums Leben gekommen, in der Eisriesenwelt bei Werfen im Pongau wurde am Sonntag ein 13 Jahre alter Bub getötet – sind durch Steinschläge in der vergangenen Woche zu beklagen gewesen. Zusätzlich wurde am Sonntag noch eine Wanderin in der Tscheppaschlucht von einem Stein getroffen und schwer verletzt. Ist diese Häufung purer Zufall? Wird es immer gefährlicher, in die Berge zu gehen? Ist der Klimawandel schuld, die Tektonik oder gar der Mensch?
304 Menschen starben 2019 in Österreichs Bergen, 7724 verletzten sich. Zahlen, die in den vergangenen Jahren mit wenigen Ausreißern konstant geblieben sind. Der Anteil der Unverletzten, die einen Notruf absetzen, hat in den vergangenen zehn Jahren jedoch signifikant zugenommen und machte 2019 rund ein Drittel aller Notrufe aus. Dazu gehören Personen, die mit den Gegebenheiten einer Tour und den Verhältnissen überfordert sind oder sich selbst überschätzt haben und in der Folge in eine alpine Notlage geraten.
Ein Phänomen, das auch verdeutlicht, dass wir uns am Berg zu sehr in Sicherheit wähnen. Wir haben verlernt, Gefahren und vor allem uns selbst einzuschätzen. Wir leben in Österreich in einer Welt, in der wir uns zu Recht sicher fühlen können. Weder Krieg, Hunger, Naturkatastrophen noch gefährliche Tiere bedrohen unser tägliches Leben. Werden wir krank, können wir uns selbstverständlich behandeln lassen. Verlieren wir unseren Job, fängt uns ein soziales Netz auf. Sorgen ums blanke, nackte Überleben kennen die wenigsten. Daher scheinen auch alpine Gefahren für viele Menschen nicht wirklich real zu sein.
Touristische Attraktionen in den Bergen führen zusätzlich
Betreff: Lebenslange Impfangst dazu, dass manche Wanderer die Berge mit einer gewarteten Freiluftarena verwechseln, in der man mit der Gondelfahrt auch Sicherheit gleich mit dazubekommt.
Dabei vergessen wir allerdings auch: Die Natur braucht nur in einem sehr geringen Maß Inszenierung von Menschenhand, denn eigentlich ist sie ihr eigenes Spektakel und die wirkliche Attraktion. Zähmen wir sie zu sehr, verliert sie an Reiz. Der Versuch, der Natur ein engeres Korsett anzulegen, um sie an unser absolutes Sicherheitsbedürfnis anzupassen, wird auch nicht zum Ziel führen. Denn wir wandern in den Bergen und Schluchten, besuchen Klammen und Eishöhlen, um das Wilde, das Ursprüngliche, das Ungezähmte zu sehen. er menschengemachte Mythos der Beherrschbarkeit der Natur spiegelt uns Sicherheit vor. Doch diese ist trügerisch. Wie wir einmal mehr in der letzten Woche sehen mussten. Und diese sollte es auch nicht geben. Denn wir gehen in die Natur, um die Natur selbst zu erleben – mit all ihrer Schönheit, aber auch ihrer Unbändigkeit.
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