Zur Person
geboren 1961 in Bad Eisenkappel/zˇ elezna Kapla, Kärnten.
Germanistin und Theaterwissenschaftlerin. War Chef´dramaturgin am Klagenfurter Stadttheater und ist vielfach ausgezeichnete Lyrikerin und Autorin. 2011 erhielt sie für ihren Roman „Engel des Vergessens“den Bachmann-preis.
live übertragene Rede hielt sie beim Salzburger Symposion zu 100 Jahren Festspiele und Verfassungsgerichtshof.
herauszutreten und zu erkennen, dass wir eingebunden sind in eine Entwicklung, die schon lange vor uns begonnen hat und uns überdauern wird. unst und Kultur konfrontieren uns mit dem Phänomen der Zeitlichkeit, der Dauer. Wir sind Teil einer Entwicklung, zu der wir uns in Beziehung setzen. Was wir mit eigenen Augen sehen oder lesen können, was wir wahrnehmen oder hören können, wenn wir uns auf ein Musikwerk konzentrieren, erscheint uns als ruhender Pol in einer Welt voller Bewegung. Es ermöglicht uns im besten Sinne, innezuhalten, innezuwerden mit dieser Welt.
Für die Kunstsparten bedeutet der Wegfall des Publikums in der Zeit des Abstandnehmens einen Schock. Mehr als je zuvor kommt uns zu Bewusstsein, wie sehr die Kunst durch die körperliche Präsenz der Menschen, durch das sinnliche Wahrnehmen dessen, was in einem Raum geschieht, bestimmt wird. Kunst lebt von der zwischenmenschlichen Wechselwirkung. Zurzeit sind entscheidende Mechanismen der Wahrnehmung und Aneignung von Kunst mit dem Fernrücken der Zuschauenden und Zuhörenden unterbrochen. Das bedeutet, dass alle transformativen Prozesse, die wirklich erfahren werden müssen, die Atmosphäre, Körperlichkeit, die Rhythmen, dass alle Prozesse der Verwandlung und Anteilnahme, des Nahe-gehens eingerissen sind. Wir stehen vor großen Herausforderungen, die nicht nur unser künstlerisches Selbstverständnis betreffen, sondern unser ganzheitliches Sein.
Alle Provisorien und Formate, die den Kontakt zwischen den Künsten und dem Publikum aufrechthalten oder ermöglichen, sind in dieser Zeit des Übergangs von großer Bedeutung. Nicht zuletzt aus der Entstehungszeit der Salzburger Festspiele wissen wir, dass aus Provisorien kulturelle Vorzeiwenn
Kgemodelle werden, die aus dem Leben einer Stadt, eines Landes nicht mehr wegzudenken sind. Gerade in einer Zeit voller Unsicherheit müssen wir an der Bedeutung der geistigen Transformation festhalten, zu der uns die Kunst herausfordert. Von Anfang an fragt die Kunst nach dem Stellenwert des Menschen im Bezug zur Herrschaft, sei es nun die Herrschaft der Götter oder die Macht der Politik und anderer Gottheiten, die sich des menschlichen Lebens bemächtigen und über dieses Leben verfügen wollen. Die Kunst stellt die Fragen der Freiheit immer radikal und unmissverständlich. Kunst führt uns auf symbolische Weise die Möglichkeiten des Protests und des Widerspruchs vor.
Wir erfahren gerade, wie wichtig es ist, in Umbruchszeiten an etwas anzuknüpfen, was die Menschen im Leben verortet und ihnen Zuversicht gibt. Viel zu viele suchen nach Arbeit, möchten wieder ihre Beschäftigung aufnehmen. Schülerinnen und Schüler warten auf den Unterricht. Es gibt eine Sehnsucht nach Normalität, und zwar in allen gesellschaftlichen Bereichen. s macht uns deswegen zuversichtlich, dass die Salzburger Festspiele, wenn auch in reduzierter Form, stattfinden. Es ist ein Statement. Es wird damit nicht nur eindrücklich demonstriert, dass die Verantwortlichen an die konstitutive und gesellschaftlich wiederherstellende Kraft von Kunst und Kultur glauben. Dieses Festival findet auch im Wissen statt, dass die Pracht der künstlerischen Qualität die Kraft hat, allen Nützlichkeitsdogmatikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Festspiele haben das Privileg und die Verantwortung, ihrer Verpflichtung, das Beste aus
Eden Bereichen Oper, Schauspiel und Konzert zu bieten, treu zu bleiben, auch im Hinblick auf diejenigen, deren kulturelle und künstlerische Arbeit zurzeit existenziell gefährdet ist. Das schließt einander nicht aus. nter Corona-bedingungen trat zuletzt die dramatische Situation der prekär arbeitenden Kunst- und Kulturschaffenden zutage. Sie stehen in befristeten, atypischen Arbeitsverhältnissen, ihre Arbeit erfolgt ohne soziales Netz. Sie werden geringfügig bezahlt, haben keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, Kurzarbeit oder Krankengeld, sie sind für den Kunst- und Kulturbetrieb das, was man das Prekariat nennt. Im Grunde aber sind es die kulturellen Nahversorger, die sich während des ganzen Jahres bemühen, an unterschiedlichsten Orten, unter schwierigen Bedingungen den Kunst- und Kulturbetrieb in aller Breite und Auffächerung in Gang zu halten. Wer applaudiert ihnen? Ich halte es für wichtig, dass sich auch etablierte und nicht in ihrem Bestand bedrohte kulturelle Institutionen für eine Verbesserung der Lebenslage von prekär lebenden Kulturschaffenden einsetzen. Schließlich sind wir aufeinander angewiesen und in mehrfacher Weise voneinander abhängig. Auch das ist eine der Lehren aus der Coronazeit.
Kultur ist das Universale und die Kunst eine verwandelnde Kraft, sagt Terry Eagleton. Damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen. Das Universale der Kultur ist, wie ich glaube, viel zu wenig in unserem Bewusstsein verankert, denn wir betrachten Kunst und Kultur noch immer aus nationaler, traditionell elitärer Perspektive. Doch die Kultur gehört allen, sie betrifft alle Menschen ohne Unterschied, auch
Usie keinen persönlichen Zugang zur Kunst finden.
Mir ist das menschliche Zeitmaß selten eindrücklicher nahegekommen als in einem Gedicht meiner Großtante, Katharina Miklau, das sie aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück heimgeschickt hatte. Sie verabschiedet sich in diesem Gedicht von ihrem Leben und schickt einen letzten Gruß nach Hause, getragen und überbracht von einem kühlen Windhauch.
Während sie schreibt, dunkelt ihr Leben und wenn sie aufhören wird zu schreiben und der Gruß bei ihren Schwestern eintreffen wird, wird sie nicht mehr am Leben sein. In diesen Zeilen wird die Zeit in Atemzügen gemessen. Sie dauert so lange, bis der Abschied aufgeschrieben und dem Wind übergeben wird. Sie ist in uns drinnen, würde Hofmannsthal sagen.
Warum ich das erwähne? Weil ich von der familienintern überlieferten Kultur- und Sprachbegeisterung meiner Großtanten infiziert bin. Sie konnten als Töchter eines kleinen Bergbauern allesamt kaum schreiben und lesen. Und doch waren sie überzeugt, sich nur mithilfe von gewählter Sprache, mit Theaterspielen, Singen und Tanzen ausdrücken zu können. Katharinas Sehnsucht nach Form und Aufschreiben, nach sprachlichem Ausdruck hat Jahrzehnte überdauert, denn ihr Abschiedsgedicht ist von einer ihrer Schwestern vertont worden und wird noch heute von slowenischen Chören gesungen. Alle Schwestern wären mit Freude zu den Salzburger Festspielen gegangen, wenn ihnen das jemand ermöglicht hätte. Obwohl sie große Barrieren hätten überwinden müssen und sich vielleicht auch fehl am Platz vorgekommen wären. Um Ermöglichung geht es. Ermöglichung ist die vornehmste Aufgabe jeglicher Kulturpolitik.