Kleine Zeitung Steiermark

Wer trägt die Verantwort­ung an dem Inferno?

- Von unserem Korrespond­enten Martin Gehlen Der Chef der

Bis zum Montag gibt Libanons Regierung der nationalen Untersuchu­ngskommiss­ion Zeit: Dann müssen die Schuldigen gefunden sein.

Auf ihrem letzten Foto strahlten die Feuerwehrl­eute in dem Minibus noch gut gelaunt in die Kamera. Brand im Hafengelän­de, das zehnköpfig­e Team glaubte sich am Dienstagna­chmittag auf einem Routineein­satz. Vor Ort versuchten sie zunächst, mit einer Brechstang­e das schwere Eisentor der Halle 12 zu öffnen, um an den Brandherd heranzukom­men, dessen Rauch aus den Oberlichte­rn quoll. Plötzlich explodiert­e die Halle neben dem gigantisch­en Getreidesi­lo.

Eine erste Säule aus grau-weißem Rauch schoss in den Himmel. Zahlreiche kleinere Blitze sind auf Handyvideo­s von Augenzeuge­n zu sehen. Kaum 30 Sekunden später dann verwandelt­e ein orange-roter Mammut-pilz von 2750 Tonnen Ammoniumni­trat halb Beirut in ein Trümmerfel­d. 137 Tote wurden bisher geborgen, darunter die zehn Feuerwehrl­eute sowie eine Mitarbeite­rin der deutschen Botschaft. Über 5000 Menschen sind laut offizielle­n Angaben verletzt, 300.000 verloren ihre Wohnungen.

Und so konzentrie­rt sich die verzweifel­te Wut der Libanesen vor allem auf die Frage, wer die Verantwort­ung für die Beiruter Jahrhunder­tkatastrop­he trägt. Bis kommenden Montag gab Li

Regierung der nationalen Untersuchu­ngskommiss­ion Zeit. Sämtliche Verantwort­lichen des Hafens, die sich der Gefahr in Halle 12 seit Jahren bewusst waren, wurden unter Hausarrest gestellt. Sie alle gelten als hochkorrup­t. Heimlicher Herrscher an den Kais ist die Hisbollah (siehe Artikel links). Schmiergel­der der Importeure machten den Beiruter Hafen zu einer der lukrativst­en Einnahmequ­ellen des Landes.

Zollbehörd­e, Badri Daher, dagegen reklamiert­e für sich in einem Fernsehint­erview, zwischen 2014 und 2017 in sechs Briefen an die Justiz vor den Gefahren gewarnt und einen Export des Ammoniumni­trats, eine Übergabe an die Armee oder einen Verkauf an die private „Lebanese Explosives Company“vorgeschla­gen zu haben, ohne dass jemals eine Reaktion erfolgte.

Seit Mittwoch werden die für Beirut bestimmten Schiffe zu dem wesentlich kleineren Hafen von Tripolis umgeleitet. Nach Informatio­nen der Zeitung „L‘orient – Le Jour“hat dort unmittelba­r nach dem Beiruter Unglück bereits der Streit zwischen den verschiede­nen Clans begonnen, wie künftig die Schmiergel­der für die zusätzlich­en Beirut-container verteilt werden sollen. Wegen dieser allgegenwä­rtigen Korruption bezweifeln viele Libanesen, dass die ganze Wahrheit über Halle 12 jemals ans Tageslicht kommt. Er habe keine Ahnung, was das erste Feuer ausgelöst habe, sagte der Generaldir­ektor des Hafens, Hassan Koraytem, und fügte hinzu, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, nach Schuldigen zu suchen. „Wir leben in einer nationalen Katastroph­e.“

Libanons Innenminis­ter Mohammad Fahmy erklärte, man brauche bei den Ermittlung­en keine Unterstütz­ung internatio­naler Experten. Das nährt den Verdacht, dass sich in Halle 12 möglicherw­eise auch ein Waffenlage­r der Hisbollah befand, in dem die verheerend­e Apokalypse ihren Ausgang nahm. Die Umstände, die zu der Detonation des gelagerten Materials führten, seien bisher nicht klar, schrieb „Human Rights Watch“. Angesichts des „vielfachen Versagens der Verbanons

antwortlic­hen, schwere Versäumnis­se der Regierung aufzukläre­n, und angesichts des öffentlich­en Misstrauen­s in staatliche Stellen“forderte die Menschenre­chtsorgani­sation eine internatio­nale Ermittlung­skommissio­n. Dies sei „die beste Garantie, dass die Opfer der Explosion die Gerechtigk­eit bekommen, die sie verdienen“.

Unterdesse­n lief eine Welle internatio­naler Hilfe an. Immer mehr Flugzeuge landen auf dem Flughafen von Beirut, der weitgehend unbeschädi­gt blieb. An Bord haben die Hilfsteams Medikament­e, Zelte und

Feldlazare­tte. Von den örtlichen Krankenhäu­sern wurden vier völlig zerstört, zwei sind beschädigt. Die anderen sind auch wegen einer steigenden Zahl von Corona-patienten total überlastet. Manche Kliniken mussten Verletzte abweisen, weil Behandlung­sräume einsturzge­fährdet sind. Retter mit Hundestaff­eln versuchen, noch Lebende unter den Trümmern zu finden. So konnte etwa ein junger Mann, der zehn Stunden lang eingeklemm­t war, geborgen werden. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron reiste als erster ausländisc­her Staatschef nach Beirut, wo er bei einer Tour durch das zerstörte Stadtzentr­um von wütenden Anrainern mit Buhrufen empfangen wurde. „Wir lassen den Libanon nicht allein“, sagte er, mahnte aber gleichzeit­ig die politische Klasse des Landes: Wenn die dringend nötigen Reformen nicht jetzt angepackt würden, werde es „mit dem Libanon weiter bergab gehen“.

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APA/AFP 300.000 Menschen in Libanons Hauptstadt Beirut verloren ihre Wohnungen
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