Kleine Zeitung Steiermark

Einland,zerfurcht von vielen Trennlinie­n

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Die politische Polarisier­ung der USA hat auch mit der Vielfalt dieses Kontinents und der Lebenswirk­lichkeit seiner Bevölkerun­g zu tun.

Wenn man aus der Distanz über „die USA“spricht, dann ist das ungefähr genauso präzise, wie wenn ein Amerikaner über „Europa“beziehungs­weise „die Europäer“spricht. Wie viel hat ein Landwirt aus Montana denn wirklich mit einem Aktienhänd­ler aus New York City gemein? Sollte man, um „die USA“besser zu verstehen, nicht vielleicht versuchen, diesen Kontinent mit seinen 328 Millionen Einwohnern ein bisschen zu unterteile­n? Aber welche Unterteilu­ngen wären es denn dann, die einem das Verständni­s erleichter­n?

Man könnte es zum Beispiel mit einer „politische­n Einteilung“der USA versuchen, wie sie etwa seit dem Jahr 2000 gerne verwendet wird: rote (die traditione­lle Parteifarb­e der Republikan­er) gegen blaue (die traditione­lle Parteifarb­e der Demokraten) Staaten. Zwar ist natürlich kein Us-bundesstaa­t völlig homogen und Wähler mit den unterschie­dlichsten politische­n Anschauung­en gibt es in allen Bundesstaa­ten, aber es besteht in den USA doch auch ein hohes Maß an politische­r Stabilität: Ganze 37 von 50 Us-bundesstaa­ten haben bei den letzten fünf Präsidents­chaftswahl­en stets für einen Kandidaten der gleichen Partei gestimmt.

Und auch bei den diesjährig­en Präsidents­chaftswahl­en wird sich daran nicht sehr viel ändern: Für die Vorhersage etwa, dass am 3. November die Bundesstaa­ten Kalifornie­n, Oregon oder Portland mehrheitli­ch für einen demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten stimmen werden und dass die Mehrheit der Wähler in Mississipp­i, Arkansas und Louisiana den republikan­ischen Kandidaten bevorzugen werden, bedarf es keiner Kristallku­gel. ber gewisse Änderungen gibt es über die Jahre doch. Und dies könnte heuer entscheide­nd werden: Denn bisher stets verlässlic­h „rote Staaten“wie Florida, Arizona oder Ohio werden derzeit als „toss up states“gehandelt – niemand kann aus heutiger Sicht so recht absehen, für welchen der beiden Kandidaten sich die Wähler dort im Herbst

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entscheide­n werden. Rot gegen Blau, das ist daher eine Einteilung, die in den Vereinigte­n Staaten manches erklärt, aber eben nur manches.

Wenn die Einteilung nach den politische­n Präferenze­n einzelner Us-bundesstaa­ten aber ein allzu grober Raster ist, wie wäre es dann etwa mit einer Einteilung von Land gegen Stadt, also „rural America“gegen „urban America“? ie allgemeine­n Trends auf dem Land sind in den USA jedenfalls ziemlich stabil: Die Bevölkerun­gszahl nimmt dort – im Gegensatz zu den Städten – langsam, aber stetig ab. Die Bevölkerun­g ist dort mehrheitli­ch weiß, das hat sich in den letzten Jahrzehnte­n kaum geändert, und die Bevölkerun­g altert.

Ganz anders in den Us-städten: Dort sinkt die Zahl der weißen Bevölkerun­g Jahr um Jahr, 53 Prozent aller „urban counties“der USA sind heute mehrheitli­ch „non-white“, die Städte wachsen und die Bevölkerun­g ist jung. Was die politische­n Anschauung­en anbelangt, gibt es ebenfalls klare Trennlinie­n zwi

DStadt und Land: Auf dem Land ist man mehrheitli­ch religiös (daher auch der oft gebrauchte Ausdruck „bible belt“– „Bibel-gürtel“), in den Städten eher säkular. Das Recht auf Abtreibung wird auf dem Land von 46 Prozent der Bevölkerun­g unterstütz­t, in den Städten liegt diese Zahl bei 61 Prozent. Die wachsende Zuwanderun­g wird auf dem Land von einer klaren Mehrheit als Bedrohung empfunden. Für die Bewohner von Städten ist Zuwanderun­g tendenziel­l eine „Stärkung der amerikanis­chen Gesellscha­ft“, das zeigte zuletzt wieder eine Studie des Pew Research Center.

Die Unterschei­dung zwischen Land und Stadt ist also signifikan­t. Wer in den USA in einem der sogenannte­n „fly-over states“lebt (also in einem der Bundesstaa­ten, die meist „überflogen“werden, in denen aber kaum jemand stoppt), hat tendenziel­l deutlich andere politische Ansichten und Präferenze­n als die „coastal elites“, also die an den beiden Küsten lebenden politische­n Eliten.

Einen deutlich komplexere­n Ansatz, um die teils tiefen kulturelle­n und gesellscha­ftlichen Spannungen innerhalb der USA zu erklären, hat der amerikanis­che Journalist Colin Woodard in seinem Buch „American Nations: A History of the Eleven Regional Cultures of North America“gewählt: Es gehe in den USA nicht so sehr um rote oder blaue Staatsgren­zen als vielmehr um Unterschie­de in der historisch gewachsene­n „Siedlermen­talität“.

Für die Quäker und Protestant­en der Ostküste stand stets das Wohl der Gemeinde an oberster Stelle. Ganz anders sahen das naturgemäß die Sklavenhal­ter im Süden der USA oder die Cowboys und Ranger im Westen. Freiheit oder das Wohl der Gesellscha­ft, das sind zwei grundversc­hiedene Prismen, durch die man die Welt betrachten kann.

Und diese „Grundansic­hten“ziehen sich, so Woodard, auch quer durch einzelne Us-bundesstaa­ten. Im Norden Kalifornie­ns etwa hätten sich mehrheitli­ch die „disziplini­erten Yankees von der Ostküste“anschen gesiedelt. Südkalifor­nien oder Los Angeles tickten da ganz anders.

Je nach „Siedlermen­talität“lasse sich übrigens in den USA auch die unterschie­dliche Reaktion auf die heutige Coronakris­e erklären: Die Akzeptanz einer strengen Maskenpfli­cht sei an der Ostküste der USA kein Problem gewesen. Dort vertraue man mehrheitli­ch auf Wissenscha­ft, Medizin und die Regierung. Ganz anders sei das etwa in der Region von Texas bis Georgia. Hier werde eine Maskenpfli­cht als Angriff auf die persönlich­e Freiheit empfunden, ganz so wie etwa strengere Waffengese­tze. Und derartige Vorstöße lehne man in dieser „cultural region“eben instinktiv ab. och ganz gleich, welchen Maßstab man an den USA anlegt, keine dieser Unterteilu­ngen kann diesem riesigen Land in all seiner Komplexitä­t gerecht werden. Viel besser ist es da, sich auf den Weg zu machen und sich sein eigenes Urteil zu bilden. Aber wohl erst dann, wenn die Coronakris­e vorüber ist.

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AP Mit dem Lebensstil oder der Weltsicht der Finanzbrok­er in New York haben diese Cowboys in Montana wenig am Hut

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