Politisches Beben nach der Explosion
Der Druck auf die Regierung im Libanon durch internationale Geldgeber und die Bürger wurde nach der Katastrophe von Beirut zu groß. Nun hoffen alle auf wirtschaftliche und
politische Reformen im Zedernstaat.
Sechs Tage lang klammerten sich die Verantwortlichen nach dem Inferno von Beirut noch an die Macht. Am Abend gab Premier Hassan Diab schließlich auf und trat zurück. Zur Kabinettssitzung zuvor war lediglich ein Teil seiner 20 Minister erschienen. Vier hatten ihr Amt bereits niedergelegt, andere drohten, das Gleiche zu tun. Erst im Jänner hatte Diab die Führung der Regierung nach einer monatelangen Hängepartie übernommen. Er folgte auf Saad Hariri, der nach Massenprotesten Ende Oktober zurückgetreten war.
Mit seiner Demission regierte der 61-Jährige auf die gewaltsamen Proteste und den wachsenden internationalen Druck, zumal weitere Details über das Ausmaß der Katastrophe bekannt wurden. Nach Angaben des Gouverneurs der Hauptstadt stieg die Zahl der Toten auf 220. Vermisst werden noch 110 Menschen. Von den 7000 Verletzten befinden sich 120 in einem kritischen Zustand. 80.000 Wohnungen sind verwüstet. Der materielle Schaden wird bisher auf mindestens 13 Milliarden Dollar geschätzt.
Nach dem ersten Schock war es am Wochenende zu Massendemonstrationen in Beirut gekommen mit schweren Zusammenstößen zwischen Bürgern und der Polizei, die mit Tränengas und Gummigeschossen readie gierte. Mehrere Protestierer wurden von Schrotsalven getroffen. Auf Fotos waren Männer in Zivil zu sehen, die mit Gewehren in Richtung Demonstration zielten. Nach Angaben eines Komitees libanesischer Anwälte mussten 90 Verletzte in Kliniken eingeliefert werden. Zehn befinden sich in kritischem Zustand.
Parallel dazu sagte eine internationale Geberkonferenz Soforthilfen von rund 300 Millionen Dollar zu. Die Mittel für Nahrung, Medikamente, Schulen und Krankenhäuser wurden jedoch an die Bedingung geknüpft, dass sie über die UNO direkt an die Bevölkerung gehen und nicht durch die Hände der korrumpierten Politikerkaste. Zudem fordern die Geldgeber, dass die Ursache der Mega-explosion der 2750 Tonnen Ammoniumnitrat von einer internationalen Expertenkommission untersucht wird. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der das Nothilfe-videotreffen organisierte, mahnte Libanons Machthaber erneut, politische und wirtschaftliche Reformen einzuleiten. Im Parlament, das zu einer Sondersitzung einberufen wurde, legten bisher neun der 128 Volksvertreter ihr Mandat nieder.
Präsidentin Weltwährungsfonds, Kristalina Georgieva, unterstrich ihre Bereitschaft, dem Libanon mit einem Rettungspaket zu helfen. Dies setze aber voraus, „dass diejenigen, die in der Vergangenheit von den exzessiven Renditen profitiert haben, jetzt auch die Hauptlast bei der Rekapitalisierung der Banken tragen, um die Ersparnisse der großen Mehrheit der normalen Libanesen zu retten“. Dagegen jedoch sträubt sich die Mafia aus korrupten Politikern, Ex-warlords, Bankern und Oligarchen. Sie haben sich über Jahre untereinander Staatsanleihen mit Zinsen zwischen zehn und 15 Prozent zugeschustert. Dieses Schneeballsystem verschlang die gesamten Sparguthaben libanesischer Normalbürger. Der Schaden beträgt 80 Milliarden Dollar.
Diab hatte versucht, den politischen Orkan mit der Ankündigung von Neuwahlen abzuwettern – vergeblich. Denn der Vorschlag bietet kaum Aussichten, die realen Machtverhältnisse grundlegend zu verändern. Das erst 2017 novellierte Wahlgesetz ist nach wie vor so konzipiert, dass unabhängige Kandidaten der Zivilgesellschaft oder neue politische Kräfte, die keinem der konfessionellen Lager oder gesellschaftlichen Dynastien angehören, praktisch keine Chancen haben, ins Parlament einzuziehen.
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