„Wir brauchen einegemeinsame Idee für die Menschheit“
Wie geht es Ihnen in Zeiten der Corona-pandemie?
LECH WAŁE˛ SA: Persönlich komme ich klar. Aber das Virus ist ein deutlicher Warnschuss für uns alle: Beim nächsten Mal wird es schlimmer. Deshalb müssen wir uns den globalen Problemen endlich im globalen Maßstab stellen. Ich meine Krankheiten, Hunger, Wassermangel, Umweltzerstörung, Klimakatastrophe. Wenn wir so weitermachen, geht die Menschheit unter.
Ist das für Sie nicht eine enttäuschende Bilanz, vierzig Jahre nach Gründung der Solidarnos´ c´ , die ja eine Freiheitsbewegung war und eine bessere Welt wollte?
Es war eine Revolution. Wir ha
die alte Ordnung überwunden. Es gibt aber noch keine zukunftsweisende neue Ordnung. Wir brauchen eine gemeinsame Idee für die Menschheit. Welches Wirtschaftssystem wollen wir? Sicher nicht den Kommunismus, denn der ist vor aller Augen gescheitert. Aber der Kapitalismus ist auch nicht die Lösung. Das ist ein Rattenrennen. Wer ist der Erste, wer holt am meisten heraus? Wir müssen diskutieren, wie sich der freie Markt effektiv zähmen lässt, zum Wohle der Menschen. Leider werden diese Diskussionen heute oft von Populisten beherrscht, die sagen: Wir machen alles besser. Sie haben aber keine Lösungen für die realen Probleme. Stattdessen dämonisieren sie alles.
Wir haben überall schwache Politiker, die sich viel zu oft der Vergangenheit zuwenden und mit alten Ideen für neue Zeiten kommen. Sie sind überfordert von den nationalen und den globalen Herausforderungen.
Die Eu-kommission hat ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet, weil die Regierung die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlt. Sie tragen ein T-shirt mit der Aufschrift „Konstytucja“, also Verfassung. Warum?
Bei der Gründung der Solidarno´sc´ ging es 1980 im Kern um die Idee, die Herrschaft einer Partei durch die Herrschaft des Rechts zu ersetzen. Der Rechtsben staat ist die Grundlage für alles Weitere. In Polen und Europa gilt: Ohne die Herrschaft des Rechts werden wir unsere Zukunft zerstören.
Er war Gründer der Solidarno´s´c, Friedensnobelpreisträger und erster Präsident Polens nach der Wende: Lech Wał˛esa (76).
Er ist bis heute ein Revolutionär geblieben.
Ist Polen wieder auf dem Weg in eine Diktatur?
Nein. Mit dem Eu-beitritt vor 16 Jahren haben wir eine andere Wahl getroffen. Damals gab es das Angebot aus dem Westen: Kommt zu uns. Wir übernehmen gemeinsam die Verantwortung für Europa. Wir helfen euch, etwas Neues aufzubauen. Dafür müsst ihr demokratische Regeln einhalten. Und dazu bekennt sich die überwältigende Mehrheit meiner Landsleute bis heute.