„Stolz wie eine Kuh mit sieben Eutern“
29-jährige Niederländerin ist die bislang jüngste Booker-preisträgerin.
Es ist eine heftige Geschichte: Kurz vor Weihnachten bemerkt die zwölfjährige Jas, dass der Vater ihr Kaninchen mästet. Sie ist sich sicher, dass es dem Weihnachtsessen zum Opfer fallen wird. Das darf nicht passieren. Also betet Jas zu Gott, dieser möge ihren älteren Bruder anstelle des Kaninchens nehmen. Am selben Tag bricht dieser beim Schlittschuhlaufen im Eis ein und ertrinkt. So beginnt der Debütroman „Was man sät“der jungen niederländischen Schriftstellerin Marieke Lucas Rijneveld, für den die 29-Jährige am Mittwoch mit dem „International Booker Prize“ausgezeichnet wurde. Rijneveld wuchs in Nordbrabant auf, einer ländlichen Provinz im Süden der Niederlande. Mit vierundzwanzig veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband „Kalfsvlies“und wurde gleich von der Tageszeitung „de Volkskrant“als größtes literarisches Talent des Landes gefeiert. Auch ihr nunmehr ausgezeichneter Roman (bei uns 2019 im Suhrkamp-verlag erschienen) löste ähnliche Begeisterung aus. Zu Recht.
Was Jas gesät hat – aus ihrer Perspektive wird dieser düstere, schicksalstrunkene Roman erzählt –, ist das Auseinanderbrechen ihrer Familie, die Teil einer strenggläubigen orthodox-calvinistischen Gemeinde im niederländischen Bibelgürtel ist. Dort, auf einem Bauernhof, wächst Jas mit ihren drei Geschwistern auf. Der Tod schwebt als großer, schwarzer Vogel über dieser Gemeinschaft und fügt allen Bewohnern, aber vor allem den Kindern – die sich in beklemmende Fantasiewelten flüchten – Kratzwunden zu. Den „International Booker Prize“erhielt Rijneveld nun gemeinsam mit ihrer Übersetzerin Michele Hutchison für die englische Fassung des Romans – „The Discomfort of Evening“. Die Niederländerin – die in Utrecht lebt und nebenbei auf einem Bauernhof arbeitet – ist die jüngste Autorin, die je mit diesem renommierten Preis ausgezeichnet wurde. „Ich bin so stolz wie eine Kuh mit sieben Eutern“, sagte Rijneveld mit einem einschlägigen Sprachbild in einer ersten Reaktion via Videobotschaft.