Klangwelt ertanzt
Klangarchitekturen, Anne Teresa De Keersmaeker, in einem Solo mit dem Werk konfrontiert. Ihre Arbeit entstand in der Corona-lockdown-zeit, und erst später kam der junge Pianist Pavel Kolesnikov dazu. Die Uraufführung fand nicht im Rahmen von Impulstanz – lange Keersmaekers Wiener „Heimat“– statt, sondern eröffnete nun die reduzierten Wiener Festwochen.
Keersmaeker, gerade sechzig Jahre alt geworden, kommt im Halbdunkel auf die leere Bühne, auf der sich links vorne eine Art Plastik aus goldener Alufolie und der Konzertflügel befinden. An der rechten seitlichen Wand ist eine Art riesiges Bild montiert, mit Silberfolie überzogen. Die Künstlerin trägt ein durchsichtiges schwarzes Kleid und ist barfuß, ebenso wie der Pianist in Shorts und T-shirt. Bachs meisterhaft organisierte Musik kommt der Strukturalistin Keersmaeker entgegen, die wie gewohnt genau am Punkt der Töne arbeitet, während der Aria und den zyklisch angeordneten dreißig Variationen hindurch. Es ist die hohe Schule des Kontrapunkts, die Tanzarchitektin Keersmaeker choreografisch höchst präzise und sensitiv für die Rhythmik zu parieren weiß.
Sie ist eine Meisterin der Geometrie, die den großen Bühnenraum horizontal und vertikal zu bespielen versteht, stets in Kommunikation mit der großen Klangskulptur. Es gibt auch Phasen der körperlichen Ruhe, wenn sie sich unter das Klavier oder sonst wohin legt. Sogar welche ohne Musik, wenn sie Kolesnikov kurzfristig vom Hocker vertreibt. Keersmaeker scheint der Kompositionsweise Bachs auf den Grund gehen zu wollen, in höchster Konzentration.
Nach der Umbaupause, in der das im Schachbrettmuster platzierte Publikum auf den Sitzen verweilen muss, kommt das Duo in anderer Kleidung zurück, Keersmaeker in Schuhen, weißer Bluse und Glockenhose. Kolesnikov ebenfalls in weißem Hemd und Schuhen, doch mit schwarzer, langer Hose. Das einzige Geräusch, das nicht vom Klavier oder quietschenden Schuhen stammt, kommt von einer langen Eisenstange, die Keersmaeker mit dem Fuß antritt und zum Rollen bringt, bis sie im Bühnenhintergrund an etwas anstößt.
Noch ein Garderobenwechsel der Tänzerin im Dunkeln, diesmal erscheint sie in silbernen Glitzershorts und korallenfarbener Bluse, mal mit, mal ohne Schuhe. Nach zwei Stunden Bewegungsstrom zur gefühlvollen Interpretation Kolesnikovs, mit den ganz speziellen, in ihren Körper eingeschriebenen Moves, endet der kinästhetische Genuss. Wieder einmal ist klar, Keersmaeker tanzt in ihrer eigenen Liga.
Wiener Festwochen, Halle E im Museumsquartier. 28., 29. (2 mal) und 30. August. www.festwochen.at