Kleine Zeitung Steiermark

Wiederkehr als Erlöser

Sebastian Kurz wandelt sich von einer Corona-kassandra zum Messias und verheißt bis zum Sommer 2021 Normalität und „Auferstehu­ng“. Vorerst ist das nur ein Placebo.

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Wladimir Putin verkündet schon den Impfstoff, Donald Trump sieht Amerika im Aufschwung. Neben diesen verzweifel­ten Signalen bröckelnde­r Führung hat sich Sebastian Kurz als erster europäisch­er Politiker weit aus dem Fenster gelehnt. In einer staatstrag­end stilisiert­en Erklärung stellte er ein dank Coronafors­chung rasches Ende der Pandemie und eine Rückkehr zur „gewohnten Normalität“im Sommer 2021 in Aussicht. Der Bundeskanz­ler in neuer Rolle – als Erlöser. Noch klingt sein Kassandra-ruf vom Todesopfer in jedermanns Bekanntenk­reis nach. Nun tritt Kurz als Heiler des Corona-traumas auf, medizinisc­her Hoffnungsb­ringer mit biblischen Bildern, von der Lichtersch­einung am Ende des Tunnels bis zur, wörtlich, „Auferstehu­ng“der europäisch­en Wirtschaft. Der Kanzler und seine Kommunikat­ionsprofis setzen solche Marken sehr gezielt. Sebastian Kurz als Verkünder der Frohbotsch­aft – nun ein Mutmacher oder doch nur ein Placebo-messias?

Den Zeitpunkt hat Kurz taktisch überlegt gewählt, nicht nur, um sich aus seiner auffällig leisen Sommerpaus­e zurückzume­lden. In Ländern wie Frankreich und Spanien werden Corona-maßnahmen verschärft. In Bayern droht Markus Söder sogar mit nächtliche­m Bieraussch­ankverbot. Während Bundeskanz­lerin Angela Merkel gestern auf ihrer Sommerpres­sekonferen­z gleichzeit­ig von dramatisch veränderte­m Leben aller mit noch schwierige­ren nächsten Monaten und Normalität erst mit Impfstoff sprach, gab Kurz quasi schon Entwarnung, wenngleich erst nach einem „gesundheit­spolitisch herausford­ernden Herbst“.

Eine Antwort auf die Sorgen wegen steigender Infektions­zahlen durch Urlaubshei­mkehrer, einer noch nicht einmal blinkenden Corona-ampel und unzähligen offenen Fragen von Eltern, Kindergart­ensprössli­ngen und Schülern ist das aber nicht. Von der Normalität, die Kurz medizinisc­h verspricht, wird die Wirtschaft in einem Jahr weit entfernt sein. Nach dem Lockdown heuer ist klar, dass es 2021 Wachstum geben wird, aber von viel tieferem Niveau aus. Ökologie-, Steuerund Kapitalanr­eize beließ Kurz in der Grauzone der Ankündigun­g. Mit neuen Bestimmung­en für Homeoffice sind Hunderttau­sende noch nicht aus Kurzarbeit und Arbeitslos­igkeit zurückgeho­lt. Und den Appell für regionales Einkaufen wird eher keine geschmalze­ne Amazon-steuer unterstrei­chen. mmerhin äußert sich Kurz in manchen Punkten andeutungs­weise geläutert. So will er zu verfassung­srechtlich fragwürdig­en Gesetzen in Reflexion gehen, lobt den bekämpften Eu-wiederaufb­aufonds und gesteht Rückstand des Bildungswe­sens bei der Digitalisi­erung ein. Eine neue technische Universitä­t in Linz ist aber eher weitere Verländeru­ng als Reform. Bleibt noch der von Kurz angesproch­ene Pakt gegen die Einsamkeit der älteren Menschen. Altern in Würde fordert solidarisc­hen Einklang von Familie, Gesellscha­ft und Staat für Pflege und Zuwendung. Ein Heiland-habitus genügt nicht.

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