Die Politik vor sich hertreiben
Hierzulande wird der öffentlichrechtliche Rundfunk schon auffällig, wenn er Kanzler Kurz bei seiner Rede zur Nation pur und ohne Flaggenspalier zeigt. Dass der ORF die Politik vor sich hertreibe, lässt sich noch weniger in der Weiterentwicklung des Unternehmens behaupten. Zur Dachgleichenfeier auf dem Küniglberg wurde seine Wandlung „vom Public Services Broadcaster zur Public-service-plattform“betont. Doch der Ausbau zur integrierten Zentrale auch für Ö 1, Ö 3 und multimedialen Newsroom beantwortet keine Frage nach der inhaltlichen Zukunft des Hauses. Sein Chef Alexander Wrabetz denkt wohl eher an die eigene Zukunft. Die Regierung plant noch heuer die Vorlage eines neuen Orf-gesetzes. Nach bisheriger Lage wird der nächste Generaldirektor im August gewählt, die Funktionsperiode von Wrabetz dauert bis Ende 2021.
Angesichts dieser Hängepartie wirkt der Reformstau programmiert. Dass sich aus einer solchen Situation mehr machen ließe, zeigen eidgenössische Kollegen des ORF. „SRG treibt Politik vor sich her“, urteilt die „Neue Zürcher Zeitung“(NZZ) über Reformpläne des dortigen Medienöffis. Denn das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) verschiebt seine Prioritäten zu Online. „Damit gerät es in Konflikt mit der heutigen Konzession. Schuld daran ist ein mutloser Bundesrat, der sich vor klaren Regeln für den abgabenfinanzierten Rundfunk scheut“, analysiert die NZZ.
Tatsachen schaffen: Unter dieser heimlichen Devise lässt Srf-direktorin Nathalie Wappler das tägliche „sportaktuell“nach der Pandemie-pause nicht wieder auf den Tv-bildschirm zurück und schafft das wöchentliche Wirtschaftsmagazin ab. Im Radio gibt es bald weniger Jazz, Klassik, Literatur und Religion, doch auf sozialen Netzwerken eigene Musikkanäle, Serien und Comedy für jüngeres Publikum. Die Begleitmusik zur digitalen Neuorientierung liefert ein Sparprogramm von 90 Millionen Euro, das bis 2022 zur Streichung von 200 Stellen führt. uch Wrabetz plant 2021 noch 75 Millionen Euro Einsparungen samt Wegfall von 120 Arbeitsplätzen. Ansonsten hofft er auf ein Gesetz, in dem alles beim Alten bleibt (inklusive parteipolitisch besetzten Stiftungsrats), das aber als „großen Digitalisierungsschritt“den Orf-player erlaubt. Dahinter verbirgt sich eine Weiterentwicklung von ORF.AT mit mehr Video- und Audio-inhalten. Der erste Schritt in diese Richtung ist die soeben verkündete Bestellung eines zweiten Chefredakteurs. Verlässlich wie ein Schweizer Präzisionsuhrwerk protestiert die Redaktionsvertretung bereits dagegen. Doch die Uhren im ORF ticken langsamer als in der SRG.
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