Kleine Zeitung Steiermark

Gorbatscho­w und die deutsche Einheit

- Von Peter Ruggenthal­er

Der Weg vom Mauerfall bis zur Wiedervere­inigung wurde maßgeblich von der Sowjetunio­n bestimmt – und auch auf Kosten der Machthaber in Moskau.

Nach dem Mauerfall wurde SED-CHEF Egon Krenz zum sowjetisch­en Botschafte­r in Ostberlin bestellt. Er war in Erklärungs­not: Der Mauerfall sei freiwillig erfolgt. Moskaus Vertreter machte klar, dass es zwar an der DDR liege, die Grenze zur BRD zu öffnen, aber im Falle Berlins seien die Interessen der Alliierten tangiert. Krenz blieb nichts anders übrig, als Michail Gorbatscho­w zu bitten, die Westmächte zu kontaktier­en. Das war das Letzte, was er noch tun konnte: Moskau aktivieren, um den Schutz der Grenze in Berlin wiederherz­ustellen.

Offiziell stärkte Moskau Ostberlin den Rücken. Gorbatscho­w warf Helmut Kohl vor, die DDR destabilis­ieren zu wollen. Der Kreml hielt an der völkerrech­tlich verbriefte­n Zweistaatl­ichkeit fest. Aber die deutsche Frage wurde für Moskau nun auch zum Dilemma der Perestroik­a – ein Husarenrit­t für Gorbatscho­w und seinen Außenminis­ter Eduard Schewardna­dse. Sie sollten schon bald mit dem Rücken zur Wand stehen.

Auch wenn die Deutschen in Ost und West immer lauter die Wiedervere­inigung verlangten, schätzte Kohl die Lage realistisc­h ein: Die sowjetisch­e Politik schloss zu diesem Zeitpunkt eine Wiedervere­inigung als Lösung der Krise in der DDR eindeutig aus. Wenige Wochen später sah alles anders aus. Kohl ging in die Offensive. Dabei half ihm auch die Initialzün­dung aus Moskau. In den Korridoren des Zentralkom­itees der Kommunisti­schen Partei „wirkte“die „graue Eminenz“, Walentin Falin, der Gorbatscho­w zum Handeln drängte. Er wollte von Kohl die Zweistaatl­ichkeit garantiert wissen. Dazu schickte er einen Mitarbeite­r zu Kohls rechter Hand, Horst Teltschik, um noch einmal die sowjetisch­bundesdeut­schen Vereinbaru­ngen zu betonen. Doch der Schuss ging nach hinten los. Teltschik war wie elektrisie­rt, als der Zk-gesandte nebenbei davon sprach, dass dies Sowjetunio­n mittelfris­tig einer wie immer gestaltete­n deutschen Konföderat­ion grünes Licht geben könnte. In Windeseile erarbeitet­e Kohl einen Zehn-punkte-plan zur Wiedervere­inigung.

Gorbatscho­w reagierte entsetzt über sein Vorpresche­n. Außenminis­ter Hans-dietrich Genscher bekam dies am 4. Dezember in Moskau zu spüren. Kohl ließ nun Vorsicht walten und legte die zehn Punkte als langjährig­e Entwicklun­g dar, die am Ende zur Einheit führen sollte.

Auf dem Seegipfel vor Malta am 2./3. Dezember, auf dem Gorbatscho­w und Us-präsident George Bush medienwirk­sam den Kalten Krieg beendeten, hatte sich Gorbatscho­w die Us-zusicherun­g eingeholt, keine übereilten Handlungen in der Wiedervere­inigungsfr­age zu setzen. och schon auf der Natoratsta­gung, auf der eine gemeinsame Linie in der deutschen Frage abgestimmt wurde, war dies obsolet. Bush, der anfänglich Misstrauen gegenüber Kohl hegte, ebnete – trotz aller Widerständ­e, vor allem aus London und Paris – den Weg. Nach dem Muster des Ksze-prozesses sollte eine Konferenz die äußeren

DBedingung­en der deutschen Einheit regeln.

Wie reagierte man im Kreml darauf? Zunächst gar nicht. Erst Ende Jänner 1990 versammelt­e Gorbatscho­w die wichtigste­n Politbürom­itglieder und Deutschlan­d-experten bei sich. Er ging davon aus, dass ein Vereinigun­gsprozess „zumindest für einige Jahre hinausgezö­gert werden“könne, nicht zuletzt aufgrund der „Truppenprä­senz in Ostdeutsch­land“. Gorbatscho­w war grundsätzl­ich nicht gegen eine Wiedervere­inigung, versuchte aber, Vorteile daraus

zu ziehen, um vor allem die lauter werdenden Kritiker seiner Politik zu besänftige­n. Unterstütz­t sah er sich dabei von Frankreich, das, wie er sagte, „keine Wiedervere­inigung will“, und von Großbritan­nien, das „sich vor einer Degradieru­ng auf den Rücksitz fürchte“. In Margaret Thatcher und François Mitterrand sah er nützliche Partner, um „jene zu bändigen, die in großer Eile sind“. Den Deutschen gestand er aber das Recht der Selbstbest­immung zu.

Im Februar fand in Ottawa die „Open Skies“-konferenz Das eigentlich­e Thema: Abrüstung von Kampfflugz­eugen und Mittelstre­ckenrakete­n. Aber in den Korridoren und abseits der Tagung wurde über die Deutschen debattiert. Darauf war die sowjetisch­e Delegation nicht vorbereite­t. Schewardna­dse warnte vor einer Nato-mitgliedsc­haft eines vereinten Deutschlan­ds und plädierte für Neutralitä­t. as wies der britische Außenminis­ter Douglas Hurd zurück: Dann wäre das mächtigste Land in Europa neben der UDSSR durch nichts und niemanden gebunden. Es

Dmüsse auch im Interesse Moskaus sein, dies zu unterbinde­n. Doch einigte man sich in Kanada auf den Zwei-plus-viermechan­ismus, der am 4. Mai in Bonn startete. Bereits hier wurde die sowjetisch­e Position aufgeweich­t. Man könne den Prozess beenden und erst dann die Bündnisfra­ge erörtern, so Schewardna­dse. Parallel dazu bat Gorbatscho­w Kohl um Hilfe. Es ging um Milliarden­kredite. In geheimer Mission reiste Teltschik mit Bankern nach Moskau.

Auf dem Gipfel in Washington Ende Mai 1990 verlautbar­statt. te Gorbatscho­w überrasche­nd, dass alle Staaten das Recht hätten, eine Bündniszug­ehörigkeit frei zu wählen. Dies war die erste Zusage in der Nato-frage. In den USA wurde die Aussage geheim gehalten, in deutsche Medien sickerten Spekulatio­nen durch. In der Sowjetdele­gation gab es Aufregung: Falin war geschockt. Gorbatscho­ws Assistent Anatoli Tschernjaj­ew wurde wutentbran­nt in die Mangel genommen. Doch selbst er fand keine Erklärung, warum sich Gorbatscho­w plötzlich eindeutig positionie­rte. er Durchbruch wurde zwischen Kohl und Gorbatscho­w in Arkhyz im Vorkaukasu­s im Juli 1990 erzielt. Schewardna­dses Assistent, Tejmuraz Stepanov-mamaladze, war schon im Mai klar, welche Konsequenz­en die Einheit haben würde: „Die Vereinigun­g Deutschlan­ds ist eine Frage des persönlich­en Schicksals“Gorbatscho­ws und Schewardna­dses. „Den Einigungsp­rozess kann man leicht als Untergrabu­ng der Sicherheit der UDSSR auslegen.“Der Sieg über Deutschlan­d 1945 hätte die Sowjetunio­n zur Weltmacht gemacht. „Ein Verlust dieses Status wird weder Gorbatscho­w noch Schewardna­dse verziehen werden.“Beide versuchten, in den Verhandlun­gen ihr Maximum herauszuho­len. Mit der Hoffnung, die Sowjetunio­n werde in eine neue Sicherheit­sstruktur gleichbere­chtigt eingebunde­n. Daran konnten sie nur scheitern.

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im Juli 1990 im Kaukasus über die Einheit
APA In zwangloser Runde verhandeln Helmut Kohl und Michail Gorbatscho­w im Juli 1990 im Kaukasus über die Einheit
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