Mutinjektion in Krisenzeiten
Drei Millionen Euro wurden investiert, jetzt eröffnet Neuroth in Lebring die neue Produktionsheimat. Inmitten der Krise – die auch den Hörakustiker nicht verschonte.
Inmitten des neuen, mit vielen hellen Hallen bedachten Standorts entführt Lukas Schinko in eine längst vergangene Zeit. Der Griff zum ausgestellten Hörrohr, von schwerhörigen Menschen vor Jahrhunderten als trichterförmiges Hilfsmittel eingesetzt, ist aber nur ein kurzer. Schnell geht der Neurothchef weiter und spricht wieder über die Jetztzeit. Über fortschreitende Miniaturisierung im Hörakustik-bereich, über WLAN- und Bluetooth-fähige Hörgeräte, über 3D-druck in der Produktion, über auf das jeweilige Ohr haargenau angepasste „Otoplastiken“, wie die Ohrpass-stücke, von denen Neuroth Jahr für Jahr 200.000 Stück fertigt, in der Branchensprache heißen. Kurzum: über das Kerngeschäft des steirischen Familienbetriebs.
Dieser feiert an diesem Tag so etwas wie eine Wiedergeburt. Nach 37 Jahren in Schwarzau im Schwarzautal wanderte die Produktion nämlich nach Lebring. Innerhalb weniger Monate und just während der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten. „Ein Kraftakt“, sagt Schinko, der 2011 bereits mit 24 Jahren an die Spitze des Familienunternehmens kam und Neuroth heute in vierter Generation leitet.
Auch Neuroth, in den letzten Jahren beständig wachsend, wurde in den vergangenen Mo
naten wirtschaftlich durchgerüttelt. Um zwei Drittel sackte der Umsatz zwischenzeitlich ab, mittlerweile habe sich das Geschäft wieder „normalisiert“, erzählt Schinko, der nach dem Finale des Geschäftsjahres Ende September noch keine abschließende wirtschaftliche Betrachtung abgeben will. Nur so viel sei bereits klar: Man könne alle Mitarbeiter halten und werde die mit Anfang Oktober startende dritte Phase der Kurzarbeit nicht in Anspruch nehmen.
Die Investition in Lebring sei ohnehin unverrückbar gewesen, erzählt der Unternehmer. Drei Millionen Euro wurden bereits in den neuen Standort investiert, weitere Ausgaben werden folgen. Etwa für die Errichtung eines Besucherzentrums oder eines eigenen Fachinstituts mit Möglichkeit zur „Werksabholung“der Produkte. Neuroth, das wird an diesem Tag durch viele Aspekte verdeutlicht, will den Umzug eines der größten Hörakustik-labors Europas betont gesamtheitlich verstanden wissen.
So wurde in Lebring aus der einstigen Isovoltaicstraße in Anlehnung an die selbst schwerhörige Neuroth-gründerin die Paulaneuroth-straße, sämtliche 190
Siedelten mit der Belegschaft nach Lebring: Gregor und Lukas
Schinko
Mitarbeiter siedelten mit der einzigen Produktionsstätte des Unternehmens, dem „Technik- und Logistikcenter“, mit. In Schwarzau, der sentimentalen Aufbruchsstätte des Konzerns, entsteht wiederum ein von Senecura betriebenes Seniorenheim. Man habe sich sehr „um eine langfristige Nachfolgelösung bemüht“, erzählt Gregor Schinko, Bruder von Lukas und Aufsichtsratsvorsitzender der Neurothgruppe.
„Moderne Technologien und klassisches Handwerk sind kein Widerspruch, das zeigt der neue Produktionsstandort“, sagt an diesem Tag Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk. Neben ihm waren auch Industrie-präsident Stefan Stolitzka sowie Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-miedl bei der Eröffnung in Lebring dabei.
Der Andrang zeigt – neben dem Respekt vor einem der traditionsreichsten Familienbetriebe des Landes – freilich auch: Die steirische Sehnsucht nach positiven Nachrichten ist groß. In Tagen wie diesen, ein paar Hundert Jahre nach der Hochzeit der Hörrohre.