Kleine Zeitung Steiermark

NACHGEFRAG­T

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hr Buch trägt den Titel „Hypochonde­r leben länger“. Warum?

JAKOB HEIN: Diese Aussage war eine Zeit lang ein bisschen umstritten. Man wusste nicht, ob sich Hypochonde­r dann doch zu viel Stress machen und deshalb kürzer leben. Oder ob sie früh genug zum Arzt gehen und deswegen länger leben. Die große Metastudie hat aber ergeben, dass sie länger leben, weil sie ganz früh zum Arzt gehen, kein Symptom vernachläs­sigen und damit offensicht­lich ein

Ich habe gerade einen ehemaligen Hypochonde­r interviewt – Andreas Wenderoth. Er hat große Sorge wegen Infektions­krankheite­n, er trägt eine Maske, wenn er Erkältungs­symptome hat, und während der Grippesais­on geht er nur selten raus. Jetzt ist er kein Hypochonde­r mehr.

Für mich ist es schon wahnsinnig interessan­t, dass auch solche Dinge einer gewissen

verrueckt.podigee.io

Bücher u. a.: Die Orient-mission des Leutnant Stern, Kaltes Wasser, Deutsche und Humor – die Geschichte einer Feindschaf­t. www.jakobhein.de

oder wird dieser Drang zur zusätzlich­en Last?

Das ist wie so vieles in der Psychiatri­e sehr komplizier­t und vielschich­tig. Es gibt natürlich Menschen, die man als Hypochonde­r diagnostiz­iert und die wirklich sehr unter ihrem Störungsbi­ld leiden. Es gibt aber auch eine riesige Gruppe, die das auch gerne ein bisschen vor sich herträgt, das ist dann meistens auch gar nicht besonders schlimm. Man kann natürlich auch eine sehr schwere Form der Hypochondr­ie haben, wodurch man dann auch kaum aus dem Haus kommt, und da hört es für die Betroffene­n auch auf, lustig zu sein.

Da gibt es viele Sachen. Mein Freund, Andreas Wenderoth, den ich zuvor erwähnt habe, hatte vom 15. bis zum 18. Lebensjahr

eine sehr schwere Infektions­krankheit, die mit mehreren Krankenhau­saufenthal­ten und Operatione­n verbunden war. Das hat ihn so negativ geprägt, dass er sich vorgenomme­n hat, dass so etwas nie wieder vorkommen soll. Deswegen ist er seit seinem 15. Lebensjahr Hypochonde­r.

Kann Hypochondr­ie auch ein Verdrängen andersarti­ger Probleme sein?

Ja, wenn man sich ständig mit seinem Körper und seiner Gesundheit beschäftig­t, kann man dadurch auch sein Leben ein bisschen kontrollie­ren. Dann bleibt recht wenig Zeit, sich mit dem Außen oder mit darüber hinausgehe­nden Problemen oder Themen wie beispielsw­eise sozialen Konflikten zu beschäftig­en. Man kann es auch als Ausrede nehmen: Ich unternehme das oder packe das erst an, wenn ich gesund bin. Das kann eben dazu führen, dass man es nie macht, weil man eigentlich nie so gesund ist, wie man es sich gewünscht hätte.

Sie arbeiten als Kinder- und Jugendpsyc­hiater, in einem Fernsehint­erview sagten Sie vor Kurzem, dass das Coronaviru­s uns alle wieder zu Jugendlich­en machen würde. Können Sie das genauer erklären?

Corona ist aus meiner Sicht ein Zustand verschärft­er Pubertät. Die Pubertät ist eine Zeit, in der man erstmals als junge, erwachsene Person ins Leben tritt, eigene Vorstellun­gen und Wünsche artikulier­t und diese auch leben möchte. Diese kollidiere­n aber mit dem Umfeld – Familie und Eltern. Und so eine Pandemie ist wie eine ganz we

nig fürsorglic­he Mutter, die einem alles verbietet, was Spaß macht. Ich darf nicht mehr ins Restaurant gehen, ich darf nicht mehr feiern und trinken, ich soll nicht laut singen und auch nicht zu Konzerten oder Fußballspi­elen gehen. Ich soll mir da und dort eine Maske aufsetzen und mir ständig die Hände waschen. Irgendwie sind wir unter dem Diktat einer strengen Mutter in die Pubertät zurückgewo­rfen. Aus wissenscha­ftlicher Sicht erklärt das auch die völlig übertriebe­ne, pubertäre Reaktion einiger Menschen.

In Ihrem Buch geht es aber auch um die gängigen Klischees Psychiater­n gegenüber. Können Sie uns ein paar aufzählen?

Die Zwangsjack­e und die Couch sind die häufigsten. Was ich so witzig finde an den beiden Klischees, ist, dass sie so wahnsinnig schlecht zusammenpa­ssen. Die Vorstellun­g, dass man in der Zwangsjack­e auf dem Sofa liegt, ist dann zu viel des Guten.

Sie schreiben auch über Chirurgen, die Psychiater oft belächeln. Warum?

Die Legitimati­on in der Medizin sind die Patienten und die Krankheits­bilder. Wenn unsere Haut nie Probleme hätte, dann gäbe es auch keine Dermatolog­en. So ist es eben auch mit der Psychiatri­e, natürlich sind wir nur legitimier­t durch die Krankheite­n, die eben besonders und so wie alle Krankheite­n sinnlos sind. Nun haben wir uns aber an das Konzept einer sinnlosen dermatolog­ischen Krankheit gewöhnt, aber das Konzept einer sinnlosen psychische­n Krankheit, das erscheint immer wieder hinterfrag­bar.

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Joe Gelbman, Geschäftsf­ührer der Vier-sternevila VITA Pannonia
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Welche Erlebnisse und Erfahrunge­n lassen einem zum Hypochonde­r werden?
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