Kleine Zeitung Steiermark

Über den Ruinen

- Martin Gasser

Parkourlau­fen ist der Inbegriff von Freiheit in einer urbanen Welt. Die Läuferinne­n und Läufer bewegen sich mit einer Akrobatik und Eleganz durch den Stadtraum, der für weniger Bewegungst­alentierte wie ein Zauber anmutet: Körperlich­e Beschränku­ngen und die Gesetze der Physik werden hier scheinbar außer Kraft gesetzt. Das Beeindruck­endste ist aber die Lässigkeit der Parkour-athletinne­n und -Athleten. Sie lassen ihre abenteuerl­ichen Aktionen über Wände, Fassaden, Treppen und Geländer wie ein Kinderspie­l erscheinen. In der italienisc­hen Renaissanc­e hat man einen Begriff für dieses Phänomen gefunden – Sprezzatur­a. Es ist die Fähigkeit, schwere Dinge leicht erscheinen zu lassen: die Eleganz, mit der ein Roger Federer, ein Zinedine Zidane oder Muhammad Ali ihre Arbeit verrichtet haben, die Mühelosigk­eit, mit der Ella Fitzgerald und Enrico Caruso gesungen haben. Genau diese Faszinatio­n verströmt auch Parkour.

Diese kleinen Rebellione­n im Stadtraum, bei denen die Artisten ihre eigenen Wege gehen, findet man auch an Orten, an denen man es am wenigsten erwartet. Der Bildreport­er Anas Alkharbout­li hat dieses Foto in Kafr Nuran aufgenomme­n, einem Ort im Westen von Aleppo im Norden Syriens. In einem vom Bürgerkrie­g zerstörten Land, wo der Irrsinn so alltäglich wurde, dass er aus dem Bewusstsei­n der Weltöffent­lichkeit verschwund­en ist. Solche Bilder kommen aus einer Region, wo die Regierungs­truppen vor einigen Jahren wieder die Macht übernahmen. Sie suggeriere­n Normalität und dass das Leben sich über Ruinen zu erheben vermag, sie sollen als Sinnbild für die Durchsetzu­ngskraft menschlich­en Lebens dienen.

Dieser Trotz stand auch an der Wiege des Parkours. David Belle, der als sein Erfinder gilt, übernahm viel von seinem in Vietnam geborenen Vater Raymond. Dieser hatte solche Übungen schon als Schüler einer Militäraka­demie entwickelt, um Ausdauer und Beweglichk­eit zu stärken. Und als Technik, die Überlebens­chancen im Krieg zu erhöhen.

Dem Virus ist es völlig egal, zu welcher Uhrzeit oder in welchen Umständen es weitergege­ben wird. Mit Maßnahmen wie einer vorverlegt­en Sperrstund­e, dem verpflicht­enden Tragen des Mund-nasenschut­zes (MNS) in Innenräume­n oder der Beschränku­ng der Teilnehmer­zahlen bei Treffen wird versucht, Übertragun­gsmöglichk­eiten zu reduzieren. Am Beispiel einer früheren Sperrstund­e, wie sie in Westösterr­eich gilt, lässt sich das erklären. Clusterana­lysen über Supersprea­der-ereignisse lieferten Informatio­nen darüber, welche Situatione­n besonders riskant sind: überfüllte Innenräume mit ausgelasse­ner Stimmung, wo sich die Abstandsre­gel in der Alkoholwol­ke förmlich auflöst. Hauptakteu­re sind eher junge Leute. Gerade diese Gruppe spielt momentan eine Schlüsselr­olle in der Übertragun­g des Virus. Jugendlich­e Leichtsinn­igkeit gepaart mit dem Gefühl: „Ich erkranke eh nicht schwer, was soll schon passieren?“, machen das Ganze noch schwerer. Abgesehen davon, dass auch junge Menschen – seltener, aber doch – schwer erkranken können, ist es unvermeidl­ich, dass das Virus aus dieser Gruppe heraus in Risikogrup­pen getragen wird.

Also versucht man als Erstes, Überzeugun­gsarbeit zu leisten: Bitte nehmt die paar Schutzmaßn­ahmen ernst. Doch leider erzielt das nicht immer die erhoffte Wirkung – daher braucht es Rahmenbedi­ngungen, damit Lokale, in denen gefeiert wird, nicht zum Ausgangspu­nkt von Infektions­ketten werden. Besucht ein Infizierte­r an einem Abend fünf, sechs Lokale, kann es dort überall zu neuen Ansteckung­sketten kommen. Mit einer früheren Sperrstund­e wird dieses Lokal-hopping eingeschrä­nkt.

Zusätzlich muss sich mehr Aufklärung­sarbeit auf junge Menschen fokussiere­n: Wir möchten nicht, dass eine „Jetzt erst recht“-mentalität ausbricht. Man kann feiern, aber eben mit Hirn. Wir müssen klarmachen: Selbst wenn ihr euch unverwundb­ar fühlt, ihr könnt jemanden in eurer Familie anstecken, der zur Risikogrup­pe gehört. Jeder trägt die Verantwort­ung, dass er oder sie niemanden ansteckt.

Mit einer solchen Pandemie hatten wir in Europa seit der Spanischen Grippe nicht zu tun: Wir kommen nur gut und ohne Lockdown durch, wenn wir Solidaritä­t leben. Leider war unsere Zeit vor der Pandemie stark von Individual­ismus und Egoismus geprägt. Von dieser Ichmentali­tät muss der Weg hinführen zum Wir-gefühl. Gibt es unter uns Menschen, die sich nicht an simple Regeln halten (Abstand einhalten, MNS tragen, Hände waschen), braucht es leider Beschränku­ngen.

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