Über den Ruinen
Parkourlaufen ist der Inbegriff von Freiheit in einer urbanen Welt. Die Läuferinnen und Läufer bewegen sich mit einer Akrobatik und Eleganz durch den Stadtraum, der für weniger Bewegungstalentierte wie ein Zauber anmutet: Körperliche Beschränkungen und die Gesetze der Physik werden hier scheinbar außer Kraft gesetzt. Das Beeindruckendste ist aber die Lässigkeit der Parkour-athletinnen und -Athleten. Sie lassen ihre abenteuerlichen Aktionen über Wände, Fassaden, Treppen und Geländer wie ein Kinderspiel erscheinen. In der italienischen Renaissance hat man einen Begriff für dieses Phänomen gefunden – Sprezzatura. Es ist die Fähigkeit, schwere Dinge leicht erscheinen zu lassen: die Eleganz, mit der ein Roger Federer, ein Zinedine Zidane oder Muhammad Ali ihre Arbeit verrichtet haben, die Mühelosigkeit, mit der Ella Fitzgerald und Enrico Caruso gesungen haben. Genau diese Faszination verströmt auch Parkour.
Diese kleinen Rebellionen im Stadtraum, bei denen die Artisten ihre eigenen Wege gehen, findet man auch an Orten, an denen man es am wenigsten erwartet. Der Bildreporter Anas Alkharboutli hat dieses Foto in Kafr Nuran aufgenommen, einem Ort im Westen von Aleppo im Norden Syriens. In einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land, wo der Irrsinn so alltäglich wurde, dass er aus dem Bewusstsein der Weltöffentlichkeit verschwunden ist. Solche Bilder kommen aus einer Region, wo die Regierungstruppen vor einigen Jahren wieder die Macht übernahmen. Sie suggerieren Normalität und dass das Leben sich über Ruinen zu erheben vermag, sie sollen als Sinnbild für die Durchsetzungskraft menschlichen Lebens dienen.
Dieser Trotz stand auch an der Wiege des Parkours. David Belle, der als sein Erfinder gilt, übernahm viel von seinem in Vietnam geborenen Vater Raymond. Dieser hatte solche Übungen schon als Schüler einer Militärakademie entwickelt, um Ausdauer und Beweglichkeit zu stärken. Und als Technik, die Überlebenschancen im Krieg zu erhöhen.
Dem Virus ist es völlig egal, zu welcher Uhrzeit oder in welchen Umständen es weitergegeben wird. Mit Maßnahmen wie einer vorverlegten Sperrstunde, dem verpflichtenden Tragen des Mund-nasenschutzes (MNS) in Innenräumen oder der Beschränkung der Teilnehmerzahlen bei Treffen wird versucht, Übertragungsmöglichkeiten zu reduzieren. Am Beispiel einer früheren Sperrstunde, wie sie in Westösterreich gilt, lässt sich das erklären. Clusteranalysen über Superspreader-ereignisse lieferten Informationen darüber, welche Situationen besonders riskant sind: überfüllte Innenräume mit ausgelassener Stimmung, wo sich die Abstandsregel in der Alkoholwolke förmlich auflöst. Hauptakteure sind eher junge Leute. Gerade diese Gruppe spielt momentan eine Schlüsselrolle in der Übertragung des Virus. Jugendliche Leichtsinnigkeit gepaart mit dem Gefühl: „Ich erkranke eh nicht schwer, was soll schon passieren?“, machen das Ganze noch schwerer. Abgesehen davon, dass auch junge Menschen – seltener, aber doch – schwer erkranken können, ist es unvermeidlich, dass das Virus aus dieser Gruppe heraus in Risikogruppen getragen wird.
Also versucht man als Erstes, Überzeugungsarbeit zu leisten: Bitte nehmt die paar Schutzmaßnahmen ernst. Doch leider erzielt das nicht immer die erhoffte Wirkung – daher braucht es Rahmenbedingungen, damit Lokale, in denen gefeiert wird, nicht zum Ausgangspunkt von Infektionsketten werden. Besucht ein Infizierter an einem Abend fünf, sechs Lokale, kann es dort überall zu neuen Ansteckungsketten kommen. Mit einer früheren Sperrstunde wird dieses Lokal-hopping eingeschränkt.
Zusätzlich muss sich mehr Aufklärungsarbeit auf junge Menschen fokussieren: Wir möchten nicht, dass eine „Jetzt erst recht“-mentalität ausbricht. Man kann feiern, aber eben mit Hirn. Wir müssen klarmachen: Selbst wenn ihr euch unverwundbar fühlt, ihr könnt jemanden in eurer Familie anstecken, der zur Risikogruppe gehört. Jeder trägt die Verantwortung, dass er oder sie niemanden ansteckt.
Mit einer solchen Pandemie hatten wir in Europa seit der Spanischen Grippe nicht zu tun: Wir kommen nur gut und ohne Lockdown durch, wenn wir Solidarität leben. Leider war unsere Zeit vor der Pandemie stark von Individualismus und Egoismus geprägt. Von dieser Ichmentalität muss der Weg hinführen zum Wir-gefühl. Gibt es unter uns Menschen, die sich nicht an simple Regeln halten (Abstand einhalten, MNS tragen, Hände waschen), braucht es leider Beschränkungen.