Chopin, Vivaldi und die Kunst des Lebens
Barbara Pachl-eberhart hat harte Schicksalsschläge gemeistert. Heute hilft sie anderen, Krisen zu bewältigen. Sich selbst half sie im Lockdown mit einem Tagebuch, das morgen in den Handel kommt.
Zufall? In einem März (1974) wurde Barbara Pachleberhart geboren. An einem Gründonnerstag im März (2008) passierte jener furchtbare Unfall, bei dem ihre erste Familie an einem Bahnübergang in Takern ums Leben kam. In einem März (2015) musste sie Abschied von ihrem „Sternenkind“nehmen – nach nur wenigen Wochen Schwangerschaft. In einem März (2017) erblickte Erika das Licht der Welt.
Und im März dieses Jahres beginnt das Tagebuch der Autorin, das morgen im Buchhandel erscheinen wird: „Chopin besucht Vivaldi und in der Bucht von Venedig schwimmen Delfine.“Es war in dem März, als Corona scheinbar über Nacht über uns hereinbrach (Barbara Pachl-eberhart lacht hell auf: „Ich bin wahrscheinlich schuld am Lockdown!“) und sie mit Mann und Kind ins Exil ging. Oder zumindest ins Landhaus auf der Alm zog.
Zufall? „Für mich ist es nicht der Kalendermonat März – aber was bei mir sehr große Bedeutung hat, ist das Osterfest, sind die Osterfeiertage. Es war nicht nur im März, der Tod meiner Familie, es war Ostern. Vom Gründonnerstag bis zum Ostermontag. Ostern hat für mich mit Auferstehung zu tun und mit tiefer Verzweiflung davor. In diesen vier Tagen ist eigentlich alles drin, das menschliche Dazu sein bedeutet: schreien, hoffen, Wunder, Glück, der Himmel auf Erden.“
Auch das neue Buch der 46Jährigen, das fünfte, umspannt genau diese Zeit. Von Mitte März bis Ostersonntag.
Barbara Pachl-eberhart sitzt in ihrer Wohnung in Wien, hält eine Tasse in beiden Händen – und da ist es wieder, das Lachen, das diesmal die Geschichte zu den Dosentomaten begleitet. „Nach Klopapier habe ich gar nicht Ausschau gehalten. Das habe ich dann erst mitbekommen, dass ich das hätte tun sollen.“Damals, am 14. März.
Einen Tag später übersiedelt die Familie ins Landhaus in Niederösterreich, das sonst vermietet wird. Zu dritt. Barbara Pachl-eberhart, ihr Mann, der Schauspieler Ulrich Reinthaller, und Erika. Eine ganz neue Erfahrung. „Wir sind es nicht gewohnt, als Familie zusammengesperrt zu sein“, heißt es im Tagebuch – im Gespräch fügt die 46-Jährige an: „Wir sind zwei freiheitsliebende Menschen. Wir brauchen unsere Unabhängigkeit, wir brauchen unseren Raum.“Im Nicht-corona-alltag bedeutet das zwei Wohnungen in einem Haus. Doch diesmal „waren wir fest entschlossen, dieses Abenteuer miteinander zu bewältigen“.
dritt. Oder fünft. „Zufällig hat meine Tochter genau in diesen Wochen des Lockdowns eine sehr intensive Rollenspielphase gehabt. Und weil sie zum Geburtstag zwei Hörbücher über Chopin und Vivaldi bekommen hat, haben wir Chopin und Vivaldi gespielt. Die Betonung auf ,wir‘.“Inzwischen halten Playmobilfiguren dafür her, Erika führt nur noch Regie.
In diesen Tagen aber sagte ein Virus, wo’s langgeht. Da hörte sich der Spaß schnell auf.
Vor allem, wenn dann noch eine Verkühlung dazukommt, die sich zu einer ordentlichen Krankheit auswächst; finanzielle Sorgen ob aller abgesagter Vortrags- und Seminartermine („Ich bin selbstständig, habe keine Arbeitslosenversicherung“) – und die Sorgen um die Familie daheim (ein Onkel starb in dieser Zeit an Corona).
„Das dominante Gefühl, das überbleibt, ist, dass man an Ausnahmesituationen wachsen kann“, sagt Barbara Pachl-eberhart im Rückblick. Das ist nicht leicht, auch nicht für eine Meisterin in Sachen Krisenbewältigung. Was vor allem Familien zugemutet wurde! „Die Mütter und Väter, die Kinder betreut haben in dieser Zeit und es jetzt ja auch tun mit all diesen Kindergartenund Schulschließungen auf Verdacht: Das sind Heldentaten, die hier Millionen in Österreich vollbringen, die sind mir viel zu wenig gewürdigt.“
Für sich selbst sieht die 46Jährige diese Zeit als „Keimzeit für sehr, sehr viel Reifung, die in mir und in meiner Tochter und in uns als Familie passiert ist. Unsere Familie heute ist ganz anders als vor Corona.“Was das konkret heißt? „Das Allerdominanteste, was ich in dieser Zeit gelernt habe, ist, meine Grenzen gegenüber meiner Tochter zu achten und ernst zu nehmen und zu kommunizieren, ohne schlechtes Ge
wissen. Ich muss nicht als einzelne Frau alles, was das Leben unter normalen Bedingungen zu bieten hat, kompensieren. Ich muss nicht Spielgefährtin, Erzieherin, Mama, Ernährerin, Spaßfaktor und Fernseher sein“, meint sie. „Es gibt zwei allerwichtigste Dinge, die man zu einem Kind nie oft genug sagen kann: Ich liebe dich. Und Nein.“
Der erste Lockdown liegt Monate zurück. Die Welt ist noch immer nicht die, die sie vorher war. Der Terminkalender von Barbara Pachl-eberhart leert sich wieder – Deutschland ist abgesagt, die Schweiz ... Dieser Tage war sie aber in der Steiermark, im November kommt sie nach Traboch. Jahrelang ist sie ihre Heimat gewesen, noch immer fühlt sie sich als „Wienerin mit grünem Herzen“. Hier sei ihre „allerbeste Freundin“daheim, mit der sie „jeden Tag dreimal whatsappt“. Bei der sie sich, wenn es sein muss, ausredet, ausschweigt, ausweint.
Ob sie nicht manchmal die Nerven wegschmeißt? Würde sie gerne, „wenn das eine Option wäre“. „Aber meine Nerven einmal zum Fenster rausschmeißen oder auf die Wäscheleine hängen, das tue ich oft.“Und noch besser: ein Blatt Papier nehmen. „So ein A4-papier hält Tonnen aus, Tonnen an Leid und Tonnen an Trauer.“