Ohne Publikum
Von Franzobel
Schauspieler James Dean wurde einst gefragt, ob er vor dem Dreh mit Elizabeth Taylor aufgeregt gewesen sei. Irrsinnig, bekannte er, aber bei Drehbeginn schrie seine Blase derart vehement nach Entleerung, dass er sich einfach etwas abseits gestellt und der Natur freien Lauf gelassen habe. Wenn er in Gegenwart der Diva müssen könne, so seine lapidare Erklärung, sollte auch sonst nichts mehr danebengehen. Tatsächlich ist es kein Honiglecken, sich coram publico zu erleichtern. Wer kennt nicht den explosiven, an Brauereipferde gemahnenden Druck, der sich wie eine Schnecke im Salz abrupt zusammenzieht, sobald einem jemand auf den Finger schaut. Dieses Problem dürfte Eric Dier nicht haben. Der Tottenhamer erlebte den Toilettenhammer, wurde zum Dier-rhö, stürmte während des Ligacupspiels gegen Chelsea Richtung Kabinen, und Jose Mourinho rannte hinterher, um ihm laut eigener Aussage Druck zu machen, was man sich lieber nicht vorstellen will. Vielleicht hatte „The Special One“auch Angst, sein Abwehrspieler könnte sich etwas zum Lesen mitnehmen? Aber wahrscheinlich versuchte der nicht für seine Zurückhaltung bekannte Startrainer nur, die im wörtlichen Sinn beschissene Unterzahl-situation seiner Mannschaft abzukürzen, und feuerte Dier mit „Lass es laufen!“an. sterreichs Sportlern scheint der Wegfall des Publikums gutzutun. Plötzlich läuft es wie geschmiert. Eine jahrzehntelange Verkrampfung hat sich gelöst.
Zuerst gewinnt Dominic
Thiem die Usopen, dann überwindet Salzburg den ewigen Champions-league-quali-fluch und obendrein bezwingt der LASK Sporting Lissabon. Ohne Zuseher haben Österreichs Spieler einen Lauf. Vielleicht waren wir deshalb immer gehemmt und nur in Disziplinen gut, in denen es keinen Kontakt zur emotionalisierten Masse gibt: Skifahren, Autorennfahren, Wildwasserpaddeln. Der Österreicher ist ein Solitär, den die Angst vor der Berühmtheit im eigenen Land von der Cosyrolle bringt. Ohne Zuseher, die durch ihre bloße Anwesenheit an eine zwischen Groß und Klein schwankende Zwergstaatenrealität erinnern, vergisst der Österreicher seine Blockaden und kommt in einen Fluss. o ist Corona zwar ein Griff ins Klo für den Tourismus, ein schmerzhafter Einlauf für Wirtschaft und Gesellschaft, aber die österreichischen Sportler scheinen das gut zu verdauen. Vielleicht sollten wir für ein generelles Publikumsverbot plädieren? Aus irgendeinem Grund sind Österreichs Sportler nicht so cool wie James Dean und verlieren vor Zuschauern immer das Zutrauen in die eigene Entschlossenheit. Vor leeren Tribünen wären wir längst Weltmeister. Überall! Vielleicht sollte auch die Politik nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit agieren? Oder passiert das eh bereits seit Langem? Ob es so oder so aber zu mehr langt als zu einem Häuslschmäh, sei dahingestellt. Riechen wollen wir daran jetzt nicht.
Franzobel, 1967 in Vöcklabruck geboren, ist Schriftsteller und Sportfan.
S