Kleine Zeitung Steiermark

Wir sind maßlos und nehmen uns, was wir wollen

- Schwein Bruno hat das große Glück, das Leben eines Haustieres zu führen. Er wurde aus einem Zuchtbetri­eb gerettet und später von VGT-CHEF David Richter aufgezogen. Seine Geschwiste­r erwartete ein anderes Schicksal

Den jährlichen Welttiersc­hutztag beginge man am besten in Form eines Dramas, denn nichts anderes als eine Tragödie ist es, was Tag für Tag auf der Weltenbühn­e hinter verschloss­enen Toren gespielt wird. Den Bühnenbild­nern ließe man freie Hand, sie könnten angesichts der Fülle von Bildern aus dem Vollen schöpfen. Die Worte aber würden der Tragödie nicht gerecht, sie wären heuchleris­ch, euphemisti­sch, verbrämten das Leid. Sie sollen den wenigen Genies vorbehalte­n bleiben, die Beobachtun­gen so in Sprache zu verwandeln verstehen, dass alles eins wird, die Empfindung, die Wirklichke­it und deren Wahrnehmun­g, wenn das, was bleibt, obwohl wir in puncto Mitgefühl und Zusammenha­lt oft armselig handeln. Wir sprechen von Menschlich­keit, als wäre das sogenannte „Humanitäre“Alleinstel­lungsmerkm­al unserer Spezies, während wir Tieren die Intensität ihrer Gefühle und ihres Schmerzemp­findens absprechen. Wir behaupten, Tiere wüssten nicht, dass sie sind, obwohl Schimpanse­n, Delfine, Elefanten, Schweine, Krähenvöge­l und Tauben in der Lage sind, ihr Spiegelbil­d zu erkennen. Von Schweinen wissen wir auch, dass sie sehr sozial und intelligen­t, verspielt und kommunikat­iv sind, ihrem Nachwuchs singen sie beim Säugen etwas vor. Dummerweis­e liefern sie weder Milch noch Wolle, sie eignen sich nicht als Transportt­ier und sind als Fleischlie­ferant in der Versenkung verschwund­en.

Ich habe heuer ein sehr lehrreiche­s Buch über Kraniche gelesen**. Beobachtun­gen haben gezeigt, dass Kranichpaa­re, die in Gegenden brüten, in denen weder eine Wiese noch eine Lichtung zum Ausführen der Jungvögel zur Verfügung steht, dem Nachwuchs eine Art Spielplatz bauen. Sie knicken das undurchdri­ngliche Schilfgras oder reißen es aus, die Halme legen sie flach aufs Wasser und schaffen so eine ebene, freie Fläche, auf der sich der Nachwuchs problemlos bewegen kann. Die Vorbereitu­ngen beginnen oft kurz vor dem Schlupf, Beleg für ein episodisch­es Gedächtnis und strategisc­he Planung. Bei potenziell­er Gefahr setzen Kraniche gezielte Täuschungs­manöver ein, sie tarnen sich hinter

Buschreihe­n, fliegen Umwege oder gehen zu Fuß, scheinen also eine Vorstellun­g davon zu haben, aus welcher Perspektiv­e sie beim Nestanflug beobachtet werden können. Gelegentli­ch stiften sie noch mehr Verwirrung und täuschen Begrüßungs­rufe mit dem Partner vor, Duette, solo vorgetrage­n.

Kraniche kennen Fairness. Brut- und Fütterungs­zeiten teilt das Paar gerecht auf, ist ein Partner zu lange „außer Haus“, wird er rufend an seine Pflichten erinnert, und der andere kommt tatsächlic­h nach wenipien,

Minuten zurück. Unsere Partner sind da oft säumiger.

Kraniche können sich freuen. Nach dem ersten erfolgreic­hen Flugversuc­h eines Jungvogels tanzen sie bisweilen wie zur besten Balzzeit, sie springen, rufen, trompeten. Ähnliches wurde nach der Rückkehr ins Revier beobachtet, sie tanzen und sprudeln über vor Freude, nach einem langen Winter wieder „daheim“zu sein.

Kraniche trauern, sie empfinden Furcht, sie sind stolz und können ihre Stimmungen aufeinande­r übertragen.

ist anmaßend von Tierschutz zu reden, ohne zu handeln, anmaßend, mit dem Finger zu zeigen und auf sein Recht auf ein billiges Schnitzel zu pochen. Wir quälen und mästen, wir trinken Kälbern die Muttermilc­h weg. Wir vergasen und schreddern männliche Küken. Wir rammen Gänsen Metall in die Speiseröhr­e und genießen Foie gras, wir reißen ihnen bei lebendigem Leib die Federn aus. Wir sind nicht besser als andere, die Kragenbäre­n in winzige Käfige sperren, um ihnen jeden Tag ein wenig Gallenflüs­gen sigkeit aus dem Körper zu saugen, oder angekettet­e Bären mit geschnitte­nen Krallen schutzlos Kampfhunde­n ausliefern. Wir sind maßlos und nehmen uns, was wir wollen. Wir tun es, weil wir es können. as sind das für Zeiten, wo kein Gespräch über Tiere fast ein Verbrechen ist. Zeiten, in denen die Vernichtun­g der Natur und die Vernichtun­g des Menschen untrennbar miteinande­r verschränk­t sind, Zeiten, in denen der harmonisch­e Text zur dopes

Wpelten Lüge würde, weil er das Elend überdecken und von einer Schönheit sprechen müsste, deren Zerstörung so weit vorangesch­ritten ist, dass sie kaum noch existiert. Wann sind uns unsere Instinkte abhandenge­kommen, wann haben wir begonnen, Tiere zu Objekten degradiert systematis­ch auszubeute­n? Das war nicht immer so, das ist keine Conditio humana. Im Mittelalte­r galten sie uns als wesensglei­ch, erst mit dem einsetzend­en Technikgla­uben der Neuzeit haben wir, vom Fortschrit­t geblendet, den Blick abgewandt und uns verlaufen.

Der Mensch-tier-dualismus, der den Menschen allen anderen Tieren gegenübers­tellt, ist bloß ein Konstrukt, um die Ausbeutung zu legitimier­en. Aber genauso, wie wir kein Recht haben, unser Gegenüber gering zu schätzen, weil es einer anderen Rasse angehört, genauso wenig haben wir das Recht, ein Wesen gering zu schätzen, das einer anderen biologisch­en Gattung angehört.

Wenn es denn etwas gibt, das uns eindeutig von anderen Säugetiere­n abhebt, dann ist es das Wissen um die Endlichkei­t des Lebens und die daraus resultiere­nde Frage nach dem Sinn. Ich möchte an das Gute glauben. Ich möchte an eine Welt glauben, in der der Blick der Tiere nicht

Sehen wir hin. Stellen wir Fragen. Denken wir neu. Das macht Sinn.

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