„Hautkontakt ist ein Grundbedürfnis“
Fehlender Körperkontakt kann dramatische Folgen haben. Gerade Jugendliche leiden besonders unter Distanzgeboten, warnt Expertin Martina Leibovici-mühlberger.
aber ist es, das nicht nur die Jugend dazu veranlasst, unvernünftig zu sein, sich außer Sichtweite der Lehrer in Grüppchen zusammenzutun, sich auf die Schulter zu klopfen oder gar zu umarmen? „Wir alle sind Hautmenschen, von Anbeginn an. Hautkontakt zu haben, ist ein Grundbedürfnis“, erklärt die Mutter von vier Kindern. Die körperliche Distanz verordnet zu bekommen, sei zwar im Sinne der Eindämmung des Coronavirus vernünftig, dem persönlichen Wohlbefinden allerdings wenig zuträglich. „Körperkontakt ist in unserer Biologie verankert“, betont die Ärztin. Wenn wir dieses
Bedürfnis nicht befriedigen, drohen teils dramatische Folgen. Depressionen, Sozialphobien, psychosomatische Erkrankungen, sogar unsere Fähigkeit, Glück zu empfinden, hänge von ausreichendem körperlichen Kontakt ab.
Reicht es, Freundschaften virtuell zu pflegen? „Kontakt über soziale Medien kann in der Qualität den persönlichen Kontakt ganz sicher nicht ersetzen“, erklärt die Expertin. Den körperkontaktlosen Umgang als neue Parole zu forcieren, sieht sie nicht als Lösung des Problems und bringt weitere Bedenken ins Spiel: „Wenn wir unseren kleinen Kindern jetzt beibringen, der andere und die Berühwas
rung des anderen ist gefährlich, wenn wir diese Haltung sozialisieren, wird eine Generation aufwachsen, die – bevor sie physischen Kontakt akzeptiert – drei Tests braucht.“Kontaktstörungen wären die Folge.
Warum treffen Distanzgebote Jugendliche besonders schwer? „Freunde sind für sie das Um und Auf, ihre Bezugsebene, während sie sich von den Eltern emanzipieren“, so die Expertin. Der persönliche Austausch, die Aufarbeitung von Erlebnissen, die eigene Positionierung brauche einen Raum von Intimität und Vertrautheit, den man nur in der unmittelbaren körperlichen Begegnung habe. Gerade beste Freundschaften würden sich nur dann entwickeln.
Was also tun? Sich selbst der beste Freund sein? „Ein schöner Gedanke, aber wir sind Sozialwesen“, kontert Martina Leibovici-mühlberger. Man müsse zwar gut auf seine Bedürfnisse schauen, könne aber nicht gleichzeitig sein bestes Gegenüber sein. Zur eigenen Psychohygiene gehöre auch, dass man Freundschaften pflege. Denn: „Wir brauchen den anderen, damit wir uns selbst gut wahrnehmen können.“
ie bieten in Ihrer Praxis Freundschaftscoachings an. Was kann man sich darunter vorstellen?
KATHARINA SMUTNY: Freundschaften sind ja auch Beziehungen. Die Beratung basiert deshalb auf ähnlichen Methoden wie die Paarberatung nur ohne den Aspekt der Sexualität. In der Regel kommen langjährige Freunde, die sich in einer Krise befinden, in die Praxis. Etwa weil es starke Verletzungen oder einen Vertrauensbruch gegeben hat und weil sie nicht mehr wissen, wie sie ohne Hilfe wieder Nähe herstellen können.
Inwieweit hat sich der Stellenwert von Freundschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Die Freundschaft gewinnt immer mehr Stellenwert im Leben jedes Einzelnen. Warum? Es gibt mehr Scheidungen, mehr Trennungen und eine größere Mobilität. Freundschaften sind da eine Erweiterung der Familie geworden und ersetzen teilweise sogar Partnerschaften.
Das ist wie ein Spiegel, der einem vorgehalten wird. Wichtig ist, zu hinterfragen, warum das so ist. Was hat das mit mir zu tun? Ein Beispiel: Geht man als Single-freundin plötzlich übermäßig hoch, weil die Freundin viel Zeit mit ihrem neuen Partner verbringt, sollte man sich fragen, woran das liegt. Habe ich Verlustängste? Komme ich mit mir nicht klar? Habe ich zu wenige Hobbys oder andere Freunde?
Wichtig ist zunächst einmal die Trauer und alle Gefühle, die aufkommen, zuzulassen. Wenn der andere plötzlich nicht mehr erreichbar ist, bleibt man alleine mit seinen Fragen zurück, die man in der eigenen Fantasie füllt. Es ist wichtig, zu hinterfragen, ob diese Fantasien, diese Gedanken, realistisch sind. Hat man wirklich etwas falsch gemacht? Wenn ja, was? Gibt es etwas, dass ich mir verzeihen möchte? Manchmal muss man dann einfach loslassen.