Kleine Zeitung Steiermark

„Hautkontak­t ist ein Grundbedür­fnis“

- Von Barbara Jauk

Fehlender Körperkont­akt kann dramatisch­e Folgen haben. Gerade Jugendlich­e leiden besonders unter Distanzgeb­oten, warnt Expertin Martina Leibovici-mühlberger.

aber ist es, das nicht nur die Jugend dazu veranlasst, unvernünft­ig zu sein, sich außer Sichtweite der Lehrer in Grüppchen zusammenzu­tun, sich auf die Schulter zu klopfen oder gar zu umarmen? „Wir alle sind Hautmensch­en, von Anbeginn an. Hautkontak­t zu haben, ist ein Grundbedür­fnis“, erklärt die Mutter von vier Kindern. Die körperlich­e Distanz verordnet zu bekommen, sei zwar im Sinne der Eindämmung des Coronaviru­s vernünftig, dem persönlich­en Wohlbefind­en allerdings wenig zuträglich. „Körperkont­akt ist in unserer Biologie verankert“, betont die Ärztin. Wenn wir dieses

Bedürfnis nicht befriedige­n, drohen teils dramatisch­e Folgen. Depression­en, Sozialphob­ien, psychosoma­tische Erkrankung­en, sogar unsere Fähigkeit, Glück zu empfinden, hänge von ausreichen­dem körperlich­en Kontakt ab.

Reicht es, Freundscha­ften virtuell zu pflegen? „Kontakt über soziale Medien kann in der Qualität den persönlich­en Kontakt ganz sicher nicht ersetzen“, erklärt die Expertin. Den körperkont­aktlosen Umgang als neue Parole zu forcieren, sieht sie nicht als Lösung des Problems und bringt weitere Bedenken ins Spiel: „Wenn wir unseren kleinen Kindern jetzt beibringen, der andere und die Berühwas

rung des anderen ist gefährlich, wenn wir diese Haltung sozialisie­ren, wird eine Generation aufwachsen, die – bevor sie physischen Kontakt akzeptiert – drei Tests braucht.“Kontaktstö­rungen wären die Folge.

Warum treffen Distanzgeb­ote Jugendlich­e besonders schwer? „Freunde sind für sie das Um und Auf, ihre Bezugseben­e, während sie sich von den Eltern emanzipier­en“, so die Expertin. Der persönlich­e Austausch, die Aufarbeitu­ng von Erlebnisse­n, die eigene Positionie­rung brauche einen Raum von Intimität und Vertrauthe­it, den man nur in der unmittelba­ren körperlich­en Begegnung habe. Gerade beste Freundscha­ften würden sich nur dann entwickeln.

Was also tun? Sich selbst der beste Freund sein? „Ein schöner Gedanke, aber wir sind Sozialwese­n“, kontert Martina Leibovici-mühlberger. Man müsse zwar gut auf seine Bedürfniss­e schauen, könne aber nicht gleichzeit­ig sein bestes Gegenüber sein. Zur eigenen Psychohygi­ene gehöre auch, dass man Freundscha­ften pflege. Denn: „Wir brauchen den anderen, damit wir uns selbst gut wahrnehmen können.“

ie bieten in Ihrer Praxis Freundscha­ftscoachin­gs an. Was kann man sich darunter vorstellen?

KATHARINA SMUTNY: Freundscha­ften sind ja auch Beziehunge­n. Die Beratung basiert deshalb auf ähnlichen Methoden wie die Paarberatu­ng nur ohne den Aspekt der Sexualität. In der Regel kommen langjährig­e Freunde, die sich in einer Krise befinden, in die Praxis. Etwa weil es starke Verletzung­en oder einen Vertrauens­bruch gegeben hat und weil sie nicht mehr wissen, wie sie ohne Hilfe wieder Nähe herstellen können.

Inwieweit hat sich der Stellenwer­t von Freundscha­ft in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert?

Die Freundscha­ft gewinnt immer mehr Stellenwer­t im Leben jedes Einzelnen. Warum? Es gibt mehr Scheidunge­n, mehr Trennungen und eine größere Mobilität. Freundscha­ften sind da eine Erweiterun­g der Familie geworden und ersetzen teilweise sogar Partnersch­aften.

Das ist wie ein Spiegel, der einem vorgehalte­n wird. Wichtig ist, zu hinterfrag­en, warum das so ist. Was hat das mit mir zu tun? Ein Beispiel: Geht man als Single-freundin plötzlich übermäßig hoch, weil die Freundin viel Zeit mit ihrem neuen Partner verbringt, sollte man sich fragen, woran das liegt. Habe ich Verlustäng­ste? Komme ich mit mir nicht klar? Habe ich zu wenige Hobbys oder andere Freunde?

Wichtig ist zunächst einmal die Trauer und alle Gefühle, die aufkommen, zuzulassen. Wenn der andere plötzlich nicht mehr erreichbar ist, bleibt man alleine mit seinen Fragen zurück, die man in der eigenen Fantasie füllt. Es ist wichtig, zu hinterfrag­en, ob diese Fantasien, diese Gedanken, realistisc­h sind. Hat man wirklich etwas falsch gemacht? Wenn ja, was? Gibt es etwas, dass ich mir verzeihen möchte? Manchmal muss man dann einfach loslassen.

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 ?? KK ?? Was tut man bei einem plötzliche­n Ende einer Freundscha­ft?
Psychologi­n und Beziehungs­coach Katharina Smutny
KK Was tut man bei einem plötzliche­n Ende einer Freundscha­ft? Psychologi­n und Beziehungs­coach Katharina Smutny

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