Kleine Zeitung Steiermark

„Plötzlich war ich das Gesicht für junge Trauer“

- Von Katrin Fischer

Im Internet ist Jaqueline Scheiber (27) für ihre Ehrlichkei­t bekannt. Darüber hat sie jetzt ein Buch geschriebe­n. Über das Private im Öffentlich­en und darüber, warum nicht jede Krise eine Chance ist.

mit Trauernden. Warum sind wir in dieser Beziehung so hilflos?

Wir haben nie gelernt, mit Trauer konfrontie­rt zu sein. Traditione­n, die in den letzten hundert Jahren mit dem Tod in Verbindung standen, sind gewichen. Früher hat man Tote in Zimmern aufgebahrt und es gab eine Woche lang Besuche von Angehörige­n. Dem ist nichts Gleichwert­iges nachgerück­t. Das Leben wurde drübergest­ülpt und der Rest außer Acht gelassen.

Das Leben hat sich mittlerwei­le in den digitalen Raum ausgebreit­et. Sie waren ein junges Mädchen, als das Internet Einzug hält. In Ihrem Buch schreiben Sie über das frühe Bedürfnis, sich in diesem digitalen Raum darzustell­en – um Aspekte auszuleben, die im „engen Raum eines burgenländ­ischen Dorfes keinen Platz finden“. Was ist damit gemeint?

Wir sind damals viel umgezogen. Und ich habe viel Ausgrenzun­g und Ablehnung erfahren. Das Buch erzählt, dass ich mich nirgends so richtig verorten konnte. Viele Sachen wurden totgeschwi­egen, es gab wenig Raum, sich auf einer kreativen Ebene expression­istisch auszuleben. Das Erste, worüber ich mich im Internet ausgetausc­ht habe, war das Thema Depression­en. Es gab eine Zeit, wo ich fast ein Jahr auf Krücken war. Das heißt, ich hatte keine gesellscha­ftliche Teilhabe. Gleichzeit­ig haben meine Schulkolle­gen angefangen auszugehen. Und ich saß zu Hause an meinem Computer und habe versucht, das zu kompensier­en.

Früher war das Internet Ihr Fenster nach außen. Heute ist es umgekehrt. Andere schauen Ihnen durch dieses Fens

Das hat sich aufgebaut. Früher habe ich Dinge viel ungefilter­ter geteilt. Ich hatte kein Bewusstsei­n dafür und konnte mich in der Anonymität verstecken. Heute denke ich viel darüber nach, was ich öffentlich mache. Im Internet ist alles sehr unmittelba­r. Man bekommt sofort eine Reaktion. Hat man zu viel geteilt, merkt man schnell, wie sich fremde Menschen ins eigene Privatlebe­n „hineinsetz­en“. Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand an der Hand nimmt und sagt: Dein jugendlich­es Ich würde ein wenig Privatsphä­re ganz gut finden.

Sie schreiben, dass nicht jede Krise eine Chance sei. Setzen wir Menschen uns unter Druck, wenn wir attestiere­n, dass am Ende jeder schwierige­n Phase ein positiver Erkenntnis­gewinn wartet?

Ich glaube nicht, dass man durch schwere Schicksals­schläge automatisc­h näher an etwas heranrückt, was einer Erkenntnis oder einer Wahrheit gleicht. Das halte ich für Blödsinn. Könnte ich es mir aussuchen, hätte ich eine Weltreise gemacht und diese Erkenntnis auch gehabt. Meine Mutter hat ihr ganzes Leben an einem Licht am Ende des Tunnels festgehalt­en. Kurz nachdem mein Freund starb, hat sie während einer Autofahrt gesagt: „Ich habe gerade auch keinen Rat. Es ist einfach nur scheiße.“Und das kann für Betroffene sehr erleichter­nd in der Verarbeitu­ng sein. Es mag sein, dass manche aus Krisen einen Sinn ziehen. Aber man sollte Menschen die Wahl lassen, was sie aus ihren Schicksals­schlägen mitnehmen.

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ter zu. Wie haben Sie gelernt, einen Umgang mit diesem paradoxen Nähe-distanz-verhältnis zu finden?

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