Kleine Zeitung Steiermark

Kompass für eine geschwiste­rliche Welt

- Von unserem Korrespond­enten

Franziskus legt mit seiner Enzyklika „Fratelli tutti“eine glaubwürdi­ge Sozialutop­ie vor. Erstmals verlässt er dazu seit Beginn der Pandemie den skandalgep­lagten Vatikan und reist nach Assisi.

Die Reise am Samstag von Rom nach Assisi trug auch Züge einer Erholungsf­ahrt. Seit Beginn der Corona-pandemie hatte Papst Franziskus den Vatikan nicht mehr verlassen. Zu gefährlich sind öffentlich­e Begegnunge­n für den 83-Jährigen. Zudem waren zuletzt wieder besonders viele negative Nachrichte­n aus dem Vatikan gedrungen. Der Papst hatte den Chef der Kongregati­on für Heiligspre­chungen, Angelo Becciu, entlassen und sogar seiner Rechte als Kardinal enthoben. Hintergrun­d waren schwarze Kassen, Millioneng­agen bei Immobilien­geschäften des Heiligen Stuhls für dubiose italienisc­he Geschäftsm­änner und interne Intrigen. Schlechte Publicity für den Papst und seine Kirche. Da kam die schon länger geplante Fahrt ans Grab des heiligen Franz von Assisi an dessen Todestag gerade recht.

Der Papst feierte in der Unterkirch­e mit den Franziskan­ern die Messe und unterschri­eb seine Enzyklika „Fratelli tutti“(„Alle Geschwiste­r“), die am Sonntag im Vatikan veröffentl­icht wurde. Man ist zurück im Kerngeschä­ft der Sorge um die Seelen. „Fratelli tutti“, nach einem Text des heiligen Franz benannt, kommt einem Befreiungs­schlag gleich. Franziskus entwirft in dem Rundschrei­ben, das „an alle Menschen guten Willens“gerichtet ist und für die 1,3 Milliarden Katholiken weltweit verbindlic­hes Lehramt ist, seine Sozialutop­ie. ranziskus hat sich in den mehr als sieben Jahren Amtszeit stets in weltliche Belange eingemisch­t. Zu denken ist nur an seine erste Sozialenzy­klika „Laudato si’“, in der er vor der Umweltzers­törung warnt und den Schutz der Schöpfung anmahnt. Zuvor gab er die von Benedikt XVI. begonnene „Lumen fidei“heraus. Mit „Fratelli tutti“, seiner insgesamt erst dritten Enzyklika, legt er nun seinen Entwurf für einen gesellscha­ftlichen Wandel vor.

Vieles ist nicht neu im rund 150 Seiten starken Text. Die 288 Fußnoten weisen auf ein Sammelsuri­um aus päpstliche­n Reden, Dokumenten seiner Vorgänger und anderen Stimmen hin. Ein Signal setzt Franziskus

Fgleich zu Beginn. Er habe sich für die Enzyklika vom ägyptische­n Großimam Ahmad altayyeb anregen lassen. Mit einem der wichtigste­n, aber wegen antisemiti­scher Aussagen nicht unumstritt­enen sunnitisch­en Gelehrten, hatte Franziskus 2019 ein viel beachtetes „Dokument über die Brüderlich­keit aller Menschen für ein friedliche­s Zusammenle­ben in der Welt“unterzeich­net. Das achte und letzte Kapitel der Enzyklika ist dann auch den „Religionen im Dienst an der Geschwiste­rlichkeit in der Welt“gewidmet. Zwischen ihnen sei „ein Weg des Friedens möglich“.

Franziskus begann die Arbeit an „Fratelli tutti“bereits vor Ausbruch von Covid-19. Die Pandemie verschärft­e dann nicht nur die vom Papst beobachtet­en Missstände in der Welt. Sie machte ein mahnendes Wort von Franzikus zusammen mit Vorschläge­n für eine besseres Zusammenle­ben der Menschheit nur noch sinnvoller. Bereits im März hielt der Papst alleine auf dem Petersplat­z eine denkwürdig­e Gebetsfeie­r ab. „Fratelli tutti“könnte so etwas wie der ideelle Kompass bei der Suche nach Antworten auf die Herausford­erungen werden.

Seit Ausbruch der Pandemie ist die Enzyklika der glaubwürdi­gste Text mit einer manchmal vielleicht naiven, aber dennoch großen sozialen Vision. ranziskus kritisiert „verbohrte, übertriebe­ne, wütende und aggressive Nationalis­men“, weitverbre­iteten „Egoismus“und den „Verlust des Sozialempf­indens“. Die

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Papst Franziskus beim Angelus am
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