Falsche Pässe sicherten Aufenthalt
Tätergruppe verhalf Dutzenden Nigerianern zu Aufenthalt und Sozialleistungen, indem andere für sie die notwendigen Sprachprüfungen ablegten. Gestern schlug die Polizei zu.
Erst unter dem Mikroskop erkennt der Dokumentenexperte der Polizei die Fälschung: Das Deckblatt des nigerianischen Reisepasses, auf dessen Innenseite auch die Identitätsdaten aufgedruckt sind, war abgetrennt und neu angefügt worden. „Für einen Laien unmöglich festzustellen“, betont Chefinspektor Thomas Huber, Kommandant der Polizeiinspektion Paulustor-fgp
und Grenzpolizei).
Huber und seinem sechsköpfigen Team ist es gelungen, einen Sozialbetrug aufzudecken, dessen ganzes Ausmaß sich wohl erst in den nächsten fünf, sechs Monaten zeigen wird. Eine von Graz aus agierende siebenköpfige Tätergruppe mit nigerianischen Wurzeln soll Landsleuten zu Aufenthaltstitel und Sozialleistungen verholfen haben, indem sie unter deren Namen die dazu notwendigen Deutsch- und Integrationsprüfungen (Sprachniveau A1 bis B2) ablegte. Schlüssel dazu waren die in Nigeria ge- und verfälschten Reisepässe, die über Kuriere zurück nach Österreich geschmuggelt wurden.
Welche illegalen Dienste die Bande seit 2017 anbietet, war in der nigerianischen Community offenbar gut bekannt, berichten die Ermittler. Man wusste, an wen man sich mit ausreichend Geldmitteln wenden kann, um an die für bestimmte Sozialleis(fremdentungen, unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen oder sogar die Staatsbürgerschaft notwendigen Zertifikate zu kommen. Ein 49-jähriger Österreicher nigerianischer Herkunft stand im Mittelpunkt des Netzwerks. Er vermittelte „Prüflinge“oder trat selbst unter falscher Identität bei einem jener Institute an, die dem Integrationsgesetz entsprechende Prüfungen durchführen. Verdacht schöpfte niemand, das Foto im Reisepass gehörte ja zum Prüf
ling, der Datensatz dazu war jedoch ein anderer.
Ende 2019 erkannte aber eine Mitarbeiterin des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Wien einen Mann wieder, der bereits einmal unter anderem Namen zur Prüfung angetreten war. „Das brachte die Sache so richtig ins Rollen, wir sind aber schon davor dran gewesen“, erzählt Huber.
Mit Telefonüberwachungen, Observationen und weiteren akribischen Erhebungen konnte das inzwischen verstärkte Ermittlerteam das Netzwerk immer weiter offenlegen. Bei 523 zwischen 2017 und Februar 2020 bundesweit von Nigerianern bei Prüfungen vorgelegten Reisepässen wurden 184 als Fälschungen ausgesiebt. 61 davon sind der siebenköpfigen Gruppe aus Graz zuzuordnen.
Unter dem Namen „Operation Sudoku“kam es gestern Früh schließlich zum finalen Schlag mit 70 eingesetzten Beamten, fünf Hausdurchsuchungen und vier Festnahmen. Für die drei Männer, darunter der Hauptverdächtige, und eine 38-jährige Frau wird die U-haft beantragt.
Die Schadenshöhe können die Ermittler noch nicht beziffern, jetzt beginne erst die „Knochenarbeit“– also die Aufarbeitung des sichergestellten Materials. Es könnte gut auch in die Millionen Euro gehen. Noch sind nicht alle Verdächtigen ausgeforscht, es gibt mögliche Serientäter.
Landespolizeidirektor Gerald Ortner hob die Taskforce Sozialbetrug in seinem Hause hervor, die seit Jänner 2019 analog zur Taskforce im Bundeskriminalamt ermittle. „Wir haben auch in jedem Bezirk zwei Beamte“. Der Erfolg im Vorjahr in Zahlen: 172 Anzeigen – eine Steigerung um 70 Prozent – und mehr als 1,2 Millionen Euro Schaden. „Diese Form des Betrugs ist ein Betrug an uns allen“, betonte Ortner.