Die Türkisen bleiben in Opposition
Die Hoffnung der Türkisen, die vormals blauen Wähler würden in großer Schar zur ÖVP wechseln, hat sich nicht bewahrheitet.
Für Sekundenbruchteile fragt man sich, ob Bernadette Arnoldner, die Landesgeschäftsführerin der Wiener ÖVP, nicht im falschen Film gelandet ist. „Es ist so schrecklich, es ist wirklich furchtbar.“Worauf die Wahlkampfchefin anspricht, ist nicht das Ergebnis, es sind die Begleiterscheinungen, die Corona mit sich bringen: „Ich hätte am liebsten alle meine Mitarbeiter umarmt, konnte es aber nicht.“Am Vortag habe sie wie bei einem Drive-in-event vor der Parteizentrale jedem Wahlkampfhelfer eine Flasche mitgegeben. „Jeder hat für sich allein zu Hause gefeiert“, klagt Arnoldner.
Auch in der Övp-zentrale fiel die Wahlparty an dem wohl unwirklichsten Wahlabend seit 1945 der Epidemie zum Opfer. „Wir werden das Ergebnis genießen“, erklärt ÖVP-CHEF Sebastian Kurz. Im Wahlzentrum im Rathaus sind die Journalisdass ten strikt von den Spitzenkandidaten getrennt. Die Interviewsituation erinnert an die Oscarverleihung: Die Printmedien warten hinter einer Absperrung, bis die Politiker am roten Teppich vorbeikommen.
Övp-spitzenkandidat Gernot Blümel greift an diesem Abend zu Superlativen. Er redet von „Sensation und Wahnsinn“. Und: „Die ÖVP Wien ist wieder da.“Man habe „fünf Jahre auf diesen Tag hingearbeitet“. Die ÖVP sei von Platz vier auf Platz zwei vorgerückt und habe „den größten Zugewinn in der Geschichte der ÖVP“erreicht.
Was dabei unter den Tisch fällt: Nach dem wohl katastrophalsten Wahlergebnis in der Geschichte der ÖVP von 2015, als man einstellig wurde, sind deutliche Zugewinne keine Meisterleistung. Bei der Nationalratswahl 2019 holte Sebastian Kurz 24,63 Prozent in Wien, bei der Eu-wahl kamen die Türkisen auf 21,39 Prozent. Der Wien-wahlkampf war inhaltlich ganz darauf ausgerichtet, so viele Wählerstimmen wie nur möglich von den Blauen, die 2015 fast 31 Prozent der Stimmen auf sich hatten vereinen können, zu holen. Am gestrigen Wahlsonntag implodierte das Dritte Lager (FPÖ und Heinz-christian Strache) und verlor rund 20 Prozent. Von den 256.000, die 2015 FPÖ ankreuzten, wechselten 101.000 ins Nichtwählerlager. Nur 43.000 gingen zur ÖVP – und 32.000 zur SPÖ. Ein Ergebnis über 20 Prozent hätte drinnen sein können. Einer der Gründe,
das nicht erreicht werden konnte, dürfte der Spitzenkandidat gewesen sein. Laut der Sora-wahltagsbefragung wählten nur zehn Prozent der türkisen Wähler ÖVP wegen Blümel. Die SPÖ wählten dagegen 20 Prozent wegen Ludwig. Im Wahlkampf hatte man auch nie den Eindruck, dass Blümel, der als Finanzminister stark ausgelastet ist, nach Wien drängt.
Im Interview auf Puls 4 deutet Kurz in den Abendstunden bereits an, dass eine Koalition mit der SPÖ höchst unwahrscheinlich sei. „Es gibt große inhaltliche Unterschiede zwitürkise
schen uns und der SPÖ, etwa die ganze Migrationspolitik oder die Wirtschaft. Die Grünen und die Neos sind kleinere Koalitionspartner, die kann Ludwig billiger haben.“
Türkis-grün. Kurz und auch Grünen-chef Werner Kogler stand gestern keine schlaflose Nacht ins Haus. Die Befürchtung, ein mittelprächtiges Ergebnis der Grünen könnte das Regieren auf Bundesebene erschweren, weil einige bei den Grünen die Koalition mit der KURZ-ÖVP als Ursache ansehen würden, hat sich nicht bewahrheitet.