Kleine Zeitung Steiermark

Die Politik der Verschleie­rung

- Alexandra Weiss,

Ein Monat ist es her, dass das Flüchtling­slager Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Inzwischen findet sich dort und da noch ein Kommentar zum Thema oder zum Verbleib der österreich­ischen Hilfe „vor Ort“. Die Empörung über die Aussagen von Außenminis­ter Schallenbe­rg und Bundeskanz­ler Kurz – eine Verkehrung von allem, was als normale politische und menschlich­e Reaktion verstanden werden kann – sind verpufft. Neben einer Normalisie­rung der Unmenschli­chkeit ist es aber auch eine Trennung von Zusammenhä­ngen, eine Verschleie­rung von Ursache und Wirkung, die diese Politik charakteri­siert.

Es ist eine Realität, dass ein neoliberal­er Kapitalism­us einem großen Teil der Weltbevölk­erung nach und nach die Lebensgrun­dlage entzieht und deshalb Migrations­ströme auslöst. Der Krieg in Syrien hatte seinen Ursprung in der brutalen Niederschl­agung zivilgesel­lschaftlic­her Proteste durch das Assad-regime. Es ist ein Krieg, der nun fast zehn Jahre dauert, der zur Bühne der Auseinande­rsetzungen zwischen den USA und Russland wurde und in dem die Menschen auch vor den Waffen fliehen, die Europa dem Assad-regime lieferte. och diese Realität ist in der politische­n Auseinande­rsetzung und der medialen Berichters­tattung nicht sichtbar. Warum und wovor Menschen fliehen, spielt keine Rolle mehr. Nur wenn man von Elend und Krieg absieht – an denen der globale Norden einen wesentlich­en Anteil hat – ist es möglich, Verantwort­ung durch Unmenschli­chkeit zu ersetzen, und das als rationales politische­s Handeln darzustell­en.

Es ist dem rechten politische­n Spektrum gelungen, diese verengte Perspektiv­e zu etablieren. Mitte-links-parteien setzen dem nur wenig entgegen. Im Fall Moria hörte man etwa die Forderung „Holt die Kinder raus!“, als ob wir nicht in der Lage wären, alle 12.000 Menschen in Europa aufzunehme­n, ohne sie quasi nach Bedürftigk­eit in Gruppen aufzuspalt­en und ohne Kinder von ihren Eltern zu trennen. Die Verschleie­rung von politische­n Zusammenhä­ngen stabilisie­rt ungleiche und ungerechte Verhältnis­se und sie bringt Menschen gegeneinan­der auf.

Politikwis­senschaftl­erin, Innsbruck

„Nur wenn man von Elend und Krieg absieht, ist es möglich, Verantwort­ung durch Unmenschli­chkeit zu ersetzen.“

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