Wien bleibt anders
Der Bürgermeister bleibt derselbe, doch die politische Landschaft Wiens ist nach der Wahl eine andere. Schlüsse für den Bund lässt das aber nur bedingt zu.
Der große Wahlsieger stand schon vorher fest. Die Coronakrise schuf ein Szenenbild wie maßgeschneidert für die Themen der Sozialdemokratie: Jobgarantie, Gesundheitsversorgung, ein starkes Sozialsystem. Michael Ludwig, dessen Langmut noch vor einem Jahr als Langeweile gedeutet wurde, erwies sich als Glücksgriff für die SPÖ.
Auch wenn das Spitzenfeld in Wien allein von der SPÖ bestritten wird, hat sich die politische Landschaft durch diese Wahl massiv verändert. ÖVP, FPÖ und Strache erreichten diesmal gemeinsam so viele Stimmen, wie bei der letzten Wien-wahl die FPÖ alleine. Und beinahe jeder Vierte wählte entweder die Grünen oder die Neos. In einer nie da gewesenen Situation kann die SPÖ nun aus drei potenziellen Koalitionspartnern wählen.
Als zweiter Wahlsieger präsentiert sich die ÖVP. Sie verdoppelte ihr Ergebnis und ist nun so stark wie zuletzt vor 18 Jahren. Trotzdem konnte das volle Potenzial nicht ausgeschöpft werden. Angesichts der Implosion des dritten Lagers, auf dessen Wähler man den türkisen Wahlkampf ausgerichtet hat, hätte das Ergebnis besser ausfallen müssen. Die Hochrechner der ÖVP prognostizierten der Partei zwar treffsicher 17 bis 18 Prozent. Die FPÖ überschätzten sie allerdings mit bis zu 12 Prozent. Lag es am Spitzenkandidaten? Jeder fünfte Wiener, der bei der letzten Nationalratswahl ÖVP gewählt hat, entschied sich diesmal explizit wegen Gernot Blümel dagegen. Bei keiner anderen Partei wurde der Spitzenkandidat als Hauptgrund angegeben, schlussendlich doch eine andere Partei zu wählen.
Aus Wiener Sicht schwierig war auch, dass Sebastian Kurz die Blickrichtung, der die österreichische Innenpolitik jahrelang folgte – nämlich hauptsächlich Wien als Machtzentrum im Fokus zu haben –, seit geraumer Zeit überaus erfolgreich ins Gegenteil verkehrt. Im Bund geht diese Rechnung auf.
Der Großteil der Österreicher wohnt schließlich nicht in Wien. Was sie eint, ist ein ambivalentes Verhältnis zur Hauptstadt, nicht selten dominieren Skepsis oder Ablehnung. Bei Wiener Wählern kommt die scharfe Kritik an Wien hingegen weniger gut an.
Sie haben mit den Neos diesmal außerdem eine ernst zu nehmende bürgerliche Alternative. 10.000 Stimmen verlor die ÖVP an sie. Aus Überzeugung laizistisch entsprechen die Neos in Humanitätsfragen dem christlich-sozialen Weltbild mehr als die ÖVP. Mündet ihr Wahlerfolg in einer Regierungsbeteiligung, wäre Rot-pink in Wien das Gegenprogramm. ür die Grünen geht das Zittern auch nach dem bestärkenden Wahlergebnis weiter. Die Fortsetzung von Rotgrün in Wien ist keinesfalls gesichert. Zumindest die Bundespartei kann aufatmen: Ihre mangelhafte Durchsetzungskraft im Bund lastet die Wählerschaft im urbanen, grünen Kernland ihr (noch) nicht an. Allzu entspannt darf sie aber nicht sein. Denn Wien ist und bleibt – das zeigt dieses Wahlergebnis – anders als der Rest des Landes.
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