Die Pandemie-schlafwandler
Der Ischgl-report zeigt eine Reihe von Versäumnissen auf lokaler, Landes- und Bundesebene. Vor allem aber: wie schlecht Österreich auf eine solche Krise vorbereitet war.
Man kann es sich leicht machen mit dem Schuldverteilen, wenn man den 300-seitigen Bericht gelesen hat, den die Expertenkommission unter Ex-ogh-vizepräsident Ronald Rohrer gestern vorgelegt hat. (Eng wird es für dieses Land, wenn uns eines Tages die Ex-höchstrichter ausgehen, um wichtige Funktionen kompetent zu besetzen, aber das nur nebenbei.)
Also: Die BH Landeck hätte schon Tage früher erkennen können – und müssen –, dass Après-ski-lokale wie das „Kitzloch“eine Virenbrutstätte erster Klasse seien und daher zu schließen sind. Politiker und Beamte des Landes Tirol hätten viel früher klar sagen können – und müssen –, dass die Zehntausenden Touristen in ihren Bergen gefährdet sind.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hätte am 13. März warten können – und müssen –, bis die Behörden vor Ort informiert und vorbereitet sind, bevor er in einer Pressekonferenz die „Isolation“des Paznauntals ausgab und die Abreise aus Ischgl so zum Chaos wurde.
Und ja, der Bürgermeister des Skiorts hätte – der offensichtlichste Verstoß gegen Recht und Moral in der ganzen Angelegenheit – die behördliche Schließung der Seilbahnen (an denen die Gemeinde direkt beteiligt ist) keinesfalls tagelang hinauszögern dürfen.
Es ist gut, dass diese Verfehlungen jetzt schwarz auf weiß dokumentiert sind. In Summe haben sie mit dazu geführt, dass sich von Ischgl aus Tausende Menschen mit dem Coronavirus angesteckt haben und dass Österreichs Reputation als sicheres Urlaubsland einen Schnitzer bekommen hat. Für vieles davon werden sich Politiker verantworten müssen – die meisten vor dem Wähler, manche vielleicht vor Gericht.
Schwieriger festzumachen, aber um nichts weniger beunruhigend als diese Fehler ist dagegen die Systemkritik, die der Bericht zutage fördert. Einzelne Fehleinschätzungen in jenen Märztagen, an denen sich die viralen Ereignisse nur so überschlagen haben, sind einfacher nachzuvollziehen, als dass die Republik es über Jahre verschlafen hat, sich auf solche Krisen vorzubereiten. bwohl Sicherheitsexperten des Bundesheers seit Jahren vor globalen Pandemien als gefährlichem und wahrscheinlichem Risiko warnten, arbeitete Österreich Anfang dieses Jahres noch immer mit einem Epidemiegesetz, das im Wesentlichen seit Kaisers Zeiten unverändert war.
Die Fachabteilungen der Länder hätten die Erlassung eines modernen Gesetzes in den vergangenen Jahren „immer wieder eingemahnt“, heißt es in dem Bericht. Ein Entwurf sei zwar im Gesundheitsministerium fertig ausgearbeitet worden, aber – genau wie eine Aktualisierung des Pandemieplans von 2006 – „aufgrund eines Regierungswechsels wieder zurückgestellt worden“.
Das ist das eigentliche Versäumnis in einem angeblich gut verwalteten Land, das sich eine vielstufige, teure Gesundheitsbürokratie leistet: Wie kann eine so elementare Staatsaufgabe über Jahre liegen bleiben?
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