Die Richterin vor der neuen Inquisition
Als Donald Trump seine Kandidatin für den Posten eines beigeordneten Richters am Obersten Gerichtshof der USA vorstellte, war das Urteil über die Person schnell gefällt: Amy Coney Barrett sei eine „konservative Katholikin“, hieß es, oder gar „erzkonservativ“. Die Ironie daran ist, dass im Katholischen das Präfix Erz- als besondere Hervorhebung gilt. Ein Erzbischof ist kein gewöhnlicher Bischof und ein Erzengel ein ganz hoher Engel.
Seit vielen Jahren sind die Richter des Ushöchstgerichts zu zwei Dritteln katholisch und zu einem Drittel jüdisch. Erst mit der Ernennung des Richters Neil Gorsuch vor drei Jahren kam wieder ein Protestant dazu. Aber die Religionszugehörigkeit der Richter hat bei deren Auswahl nie eine Rolle gespielt. Die Verfassung verbiete „religiöse Gesinnungstests“, erinnerte ein Senator bei der Anhörung der Kandidatin im Justizausschuss des Senats.
Warum ist das bei Amy Coney Barrett anders? Sie und ihr Mann gehören einer charismatischen Erneuerungsbewegung an. Der Gruppe wird ein veraltetes Verständnis von den Geschlechterrollen vorgehalten. Deshalb sei die Kandidatin als Richterin ungeeignet. Der Vorwurf geht freilich bei Amy Coney Barrett auf eklatante Weise daneben. Sie ist geradezu ein Beispiel für eine „moderne“Familienauffassung. Mit einer Familie von fünf eigenen und zwei adoptierten Kindern hat sie eine brillante wissenschaftliche Karriere gemacht und wurde von ihrem Mann dabei unterstützt.
Im Kern geht es aber um eine Frage, die die amerikanische Gesellschaft seit Jahrzehnten umtreibt. Coney Barrett hat als Professorin der angesehenen Notre-dame-universität eine Anzeige gegen das „berüchtigte Erkenntnis Roe vs. Wade“unterschrieben, mit dem im Jahr 1973 die Abtreibung legalisiert wurde. arrett hat in der Anhörung nicht erkennen lassen, ob sie überhaupt für eine Revision des Urteils stimmen würde, wie ihre Gegner ihr unterstellen. Aber allein schon gegen die Abtreibung zu sein, bringt sie vor das Tribunal der neuen Inquisition.
„Amy Coney Barret ist ein Beispiel für eine moderne Familienauffassung. Mit sieben Kindern hat sie eine brillante Karriere gemacht.“
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