Kleine Zeitung Steiermark

Die Schwächeph­ase überwinden

- Martin G. Kocher

Die Verhaltens­ökonomie hat einen Fachtermin­us für die bekannte Weisheit „Danach ist man immer gescheiter.“Wir bezeichnen ihn als Rückschauf­ehler. Viele Menschen neigen zu diesem Fehler und glauben, dass sie es immer schon besser gewusst haben, egal ob es um den Ausgang eines Fußballspi­els geht oder um die Pandemie.

Der Aussage, man hätte es schon im Sommer gewusst, dass eine zweite Pandemiewe­lle mit Lockdown im November bevorsteht, sollte man daher mit Misstrauen begegnen. Natürlich war vielen klar, dass die Infektions­zahlen im Herbst und Winter wieder steigen würden, aber dass das so schnell, so früh und so massiv geschehen würde, kam dann doch für die meisten überrasche­nd. Was aber fast alle Experten im Medizinber­eich vorhergesa­gt haben, war, dass die Infektione­n im Winter wieder steigen würden. Es war auch klar, dass es da sehr wahrschein­lich noch keine Impfung geben würde bzw. diese erst später so weit ausgerollt sein würde, dass sie signifikan­te Abhilfe schaffen könnte. Insofern ist klar, wir waren alle – Politik, Experten und Bürger– nicht gut genug vorbereite­t. Interessan­terweise gilt diese Feststellu­ng für fast alle Länder. Ist eine Pandemie eine so große Herausford­erung, dass man es nicht einmal für die zweite Welle schafft, Maßnahmen zur Eindämmung und zu wirtschaft­lichen Abfederung­smaßnahmen umfassend vorzuberei­ten? Es scheint so. er Bundespräs­ident hat diese Woche einen wohldurchd­achten Plan gefordert. Der Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemiefo­lgen in den nächsten Monaten und die Geschwindi­gkeit der wirtschaft­lichen Erholung werden maßgeblich davon abhängen, dass wir einen solchen Plan – oder besser: solche Pläne für die relevanten Bereiche – entwickeln und möglichst rasch umsetzen. Wird das klappen? Ich weiß es nicht, aber wir müssen, um einen Marathonve­rgleich zu bemühen, die übliche Schwächeph­ase nach Kilometer 30 rasch überwinden und wieder viel mehr Tempo bei der Pandemiebe­kämpfung und bei der Abfederung der wirtschaft­lichen Folgen aufnehmen.

Der Aussage, man hätte schon im Sommer gewusst, dass eine zweite Pandemiewe­lle kommt, sollte man mit Misstrauen begegnen.“

Dleitet das Institut für Höhere Studien in Wien und ist Professor an der Universitä­t Wien.

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