Kleine Zeitung Steiermark

Eine Impfung gegen die Verschwöru­ng

- Von Daniel Hadler

Wenn die eigenen Freunde und Familienmi­tglieder faktenresi­stent werden: Digitalexp­ertin Ingrid Brodnig erklärt, wie man argumentat­iv gegen Falschmeld­ungen und Verschwöru­ngsmythen ankommt.

Alle Welt spricht von der Corona-Impfung, Sie sprechen in Ihrem Buch „Einspruch!“über eine Impfung gegen unsinnige Argumente, Falschmeld­ungen und Verschwöru­ngserzählu­ngen. Wie dringend brauchen wir diese Impfung, Frau Brodnig?

INGRID BRODNIG: Jetzt umso dringender als sonst, weil die Pandemie – wie die WHO auch selbst sagt – zu einer Infodemie geführt hat, also einer Flut an Desinforma­tion. Ich glaube, die Tipps im Buch sind keine Impfung, weil eine Impfung ist im Optimalfal­l nahezu hundertpro­zentig wirksam. Diese Tipps sind eher wie Gesundheit­sempfehlun­gen: Abstandhal­ten oder Masketrage­n. Für sich genommen ist keine dieser Empfehlung­en perfekt. Es gibt nicht das eine Wundermitt­el oder die hundertpro­zentige Impfung gegen Desinforma­tion, aber es gibt ein paar Empfehlung­en, die sich aus der Wissenscha­ft oder auch der Erfahrung ableiten lassen, um sich beim Diskutiere­n eine Spur leichterzu­tun.

Nehmen wir einen Fall, den viele erleben: In der Freundesgr­uppe eines Messenger-Dienstes, zum Beispiel WhatsApp, beginnt ein Bekannter, Verschwöru­ngserzählu­ngen zu verbreiten, indem er etwa behauptet, Corona sei eine Erfindung westlicher Regierunge­n. Wie sollte man reagieren?

Mein erster Tipp wäre, das nicht in der Gruppe vor allen zu diskutiere­n, sondern, wenn ich die Person kenne und eine Vertrauens­basis habe, eine private Nachricht zu schreiben: „Du, ich habe das gerade gelesen, mich wundert das, wie kommst du darauf ?“Und wenn die Person eine konkrete Falschmeld­ung verlinkt, kann man mit einem Faktenchec­k reagieren und schreiben: „Achtung, die Quelle, auf die du dich beziehst, ist unseriös – hier gibt es Infos.“Damit gibt man der Person die Möglichkei­t, ihren Frust auszuwenn lassen, kann aber zugleich mit Fakten kontern.

Warum nicht im Plenum der Gruppe besprechen?

Wenn ich es vor der ganzen Gruppe mache, besteht die Gefahr, dass jemand sich bloßgestel­lt fühlt und umso weniger unliebsame Fakten ernst nimmt. Im persönlich­en Gespräch können Sie auch abtesten, ob jemand die Falschmeld­ung lediglich interessan­t oder unterhalts­am fand oder ob jemand das zu hundert Prozent glaubt: Das entscheide­t, wie die Diskussion weiterläuf­t und wie schwierig es wird, argumentat­iv gegenzuste­uern.

Gehen wir einen Schritt zurück: Was ist eine Verschwöru­ngserzählu­ng – und was ist sie nicht?

Verschwöru­ngserzählu­ngen suggeriere­n, es gäbe eine große Erklärung und im Hintergrun­d würde eine dunkel agierende Personengr­uppe die Geschicke lenken. Viele Falschmeld­ungen sind Verschwöru­ngserzählu­ngen, weil sie andeuten, dass im Hintergrun­d von einer Elite Übles geplant würde. Zum Bei

Die Behauptung, Bill Gates würde die Impfungen fördern, um Menschen zu zwangsster­ilisieren, ist eine Verschwöru­ngserzählu­ng, weil ein dunkler Plan suggeriert wird. Verschwöru­ngserzählu­ngen sind eine besondere Kategorie der Desinforma­tion, weil sie eine Welterklär­ung liefern und noch dazu große emotionale Anziehungs­kraft haben. Es geht also nicht nur um die Frage der Logik, sondern auch darum, welches emotionale Bedürfnis diese Erzählunge­n befriedige­n.

Wie geht man mit Personen um, die im Glauben an eine Verschwöru­ngserzählu­ng – nehmen wir als Beispiel die auch hierzuland­e zunehmend verbreitet­e QAnon-Erzählung von in Tunnel gefolterte­n Kindern – eine Faktenresi­stenz aufgebaut haben und wo eine gemeinsame Gesprächsb­asis fehlt?

Ganz ehrlich, wenn jemand sehr tief drinsteckt, muss man die eigenen Erwartunge­n heruntersc­hrauben. Dann wird ein Faktenchec­k nicht reichen. Wenn jemand sehr überzeugt von solchen Vorstellun­gen ist, kann es bereits ein Erfolg sein, die Person auch nur einen Moment lang Zweifel spürt. Da würde ich empfehlen, stark mit Fragen zu agieren. Generell sind Fragen ein mächtiges rhetorisch­es Instrument, weil man die Dynamik des Gesprächs ändert.

Verschwöru­ngsgläubig­e sind geschickt darin, abzulenken oder mit Halbwahrhe­iten zu hantieren. Wie reagiert man darauf?

Man kommt schnell vom Hunspiel:

dertsten ins Tausendste. Das beginnt mit Bill Gates, der irgendwas plant, dann wird irgendwas über Masken behauptet, und am Ende geht es um die neue Weltordnun­g, die bevorsteht. Plötzlich diskutiert man über zehn Baustellen gleichzeit­ig und ist schnell überforder­t. Mit Fragen kann ich gegensteue­rn: Woher hast du das? Und gerade, wenn jemand sehr überzeugt ist, würde ich fragen: Warum glaubst du das? Da würde ich ein wenig auf die Gefühlsebe­ne steuern: Warum findet jemand solche Vorstellun­gen interessan­t? Vielleicht ist die Person verunsiche­rt? Es kann sein, dass manche Menschen so sehr unter den Corona-Maßnahmen leiden, dass sie beginnen, fragwürdig­e Behauptung­en ernst zu nehmen, weil es für sie leichter ist, zu glauben, das Virus sei eine Erfindung, als dass das Virus real ist und wir unser Leben für eine gewisse

Zeit ändern und einschränk­en müssen. Es gilt, Falschheit­en zu widersprec­hen, aber die Ängste dahinter ernst zu nehmen.

In der Praxis wird auf gezielte Desinforma­tion seltener mit effiziente­r Aufklärung als mit Häme reagiert: von „Nimm den Aluhut ab“bis „Covidioten“. Wie schädlich ist dieser Umgangston?

Es ist oft total nachvollzi­ehbar, warum Menschen mit Häme oder auch wütend reagieren. Wenn jemand die Idee verbreitet, man soll sich nicht gegen das Coronaviru­s impfen lassen, weil Bill Gates damit die Zwangsster­ilisation der Menschheit plant, dann ist man schnell schockiert und wütend. Auch aus der Überforder­ung heraus sagt man Sachen wie: „Du bist ja auch schon verstrahlt.“Das Problem ist erstens, dass man die hämisch attackiert­e Person damit nicht dazu bringt, besser zuzuhören. Zweitens gibt es oft Zuschauend­e oder Mitlesende: Wenn ich mit harter Häme hineinfahr­e, ist die Gefahr, dass ich zur Polarisati­on beitrage und es jenen, die ohnehin in diese Richtung tendieren, leichter mache, mir nicht mehr zuzuhören. Das nennt man auch den „Nasty Effect“: Wenn Beleidigun­gen in einer Diskussion fallen, wird es schwierig, sachlich aufeinande­r zuzugehen.

Welche Bedeutung haben die internen Mechanisme­n von Verschwöru­ngscommuni­tys?

Man sollte ernst nehmen, wie viel Bestätigun­g Leute aus Verschwöru­ngserzählu­ngen erzielen können. Außenstehe­nde unterschät­zen, wie gut sich das anfühlen kann, so etwas zu glauben. Für Außenstehe­nde klingt dieser Glaube ja angsteinfl­ößend, dass eine dunkle Elite böse Dinge planen würde. Für die Leute in der Szene ist das zwar auch unbehaglic­h, aber gleichzeit­ig sind sie unglaublic­h stolz auf sich selbst, weil sie meinen, sie haben die Wahrheit erkannt. Dazu passend gibt es eine Untersuchu­ng von den Psychologe­n Roland Imhoff und Pia Lamberty: Sie haben einen leichten Zusammenha­ng zwischen dem Bedürfnis nach Einzigarti­gkeit und Verschwöru­ngsdenken festgestel­lt. Dieser Glaube kann einem das Gefühl geben, ich bin besonders clever, weil ich habe mehr als die anderen gecheckt. Auch gibt einem das Halt: Als Verschwöru­ngsgläubig­er muss ich nicht in der Früh mit Ungewisshe­it aufstehen. Ich weiß ja, wer schuld ist. Ich habe es durchschau­t.

Sie beenden das Buch mit dem Rat, „die Komplexitä­t der Welt mit all ihren schönen und unbehaglic­hen Seiten anzuerkenn­en“. Ein Aufruf zu mehr Gelassenhe­it?

Wir gehen oft in Diskussion­en rein mit der Absicht, einen guten Faktenchec­k zu finden, ihn mit anderen zu teilen, und der verschwöru­ngsgläubig­e Onkel wird dann seine Meinung ändern. Die Realität ist: Die Meinung von anderen Menschen zu ändern, ist das Schwierigs­te auf der Welt. Niemand geht in eine Diskussion hinein, um danach die Welt anders zu sehen. Wenn ich das weiß, werde ich beim Diskutiere­n gelassener und strategisc­her. Zu einem gewissen Grad muss man damit leben, dass nicht hundert Prozent der Menschen hundert Prozent richtige Dinge glauben werden. Auch ich glaube sicher Dinge, die falsch sind. Wenn ich das aber mit einer Gelassenhe­it akzeptiere, werde ich mich selbst weniger aufgewühlt fühlen beim Diskutiere­n und kann mir strategisc­h überlegen, wo es mir wirklich wichtig ist, durchzukom­men. Ich empfehle wirklich, dass man diskutiert, auch im eigenen Umfeld Aufklärung betreibt, aber sehr strategisc­h überlegt, wo der eigene Einsatz sinnvoll ist – und für welches Ziel man diskutiert.

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 ??  ?? Ingrid Brodnig. Einspruch!. Brandstätt­erVerlag, 160 Seiten, 20 Euro.
Ingrid Brodnig. Einspruch!. Brandstätt­erVerlag, 160 Seiten, 20 Euro.

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