Eine Impfung gegen die Verschwörung
Wenn die eigenen Freunde und Familienmitglieder faktenresistent werden: Digitalexpertin Ingrid Brodnig erklärt, wie man argumentativ gegen Falschmeldungen und Verschwörungsmythen ankommt.
Alle Welt spricht von der Corona-Impfung, Sie sprechen in Ihrem Buch „Einspruch!“über eine Impfung gegen unsinnige Argumente, Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen. Wie dringend brauchen wir diese Impfung, Frau Brodnig?
INGRID BRODNIG: Jetzt umso dringender als sonst, weil die Pandemie – wie die WHO auch selbst sagt – zu einer Infodemie geführt hat, also einer Flut an Desinformation. Ich glaube, die Tipps im Buch sind keine Impfung, weil eine Impfung ist im Optimalfall nahezu hundertprozentig wirksam. Diese Tipps sind eher wie Gesundheitsempfehlungen: Abstandhalten oder Masketragen. Für sich genommen ist keine dieser Empfehlungen perfekt. Es gibt nicht das eine Wundermittel oder die hundertprozentige Impfung gegen Desinformation, aber es gibt ein paar Empfehlungen, die sich aus der Wissenschaft oder auch der Erfahrung ableiten lassen, um sich beim Diskutieren eine Spur leichterzutun.
Nehmen wir einen Fall, den viele erleben: In der Freundesgruppe eines Messenger-Dienstes, zum Beispiel WhatsApp, beginnt ein Bekannter, Verschwörungserzählungen zu verbreiten, indem er etwa behauptet, Corona sei eine Erfindung westlicher Regierungen. Wie sollte man reagieren?
Mein erster Tipp wäre, das nicht in der Gruppe vor allen zu diskutieren, sondern, wenn ich die Person kenne und eine Vertrauensbasis habe, eine private Nachricht zu schreiben: „Du, ich habe das gerade gelesen, mich wundert das, wie kommst du darauf ?“Und wenn die Person eine konkrete Falschmeldung verlinkt, kann man mit einem Faktencheck reagieren und schreiben: „Achtung, die Quelle, auf die du dich beziehst, ist unseriös – hier gibt es Infos.“Damit gibt man der Person die Möglichkeit, ihren Frust auszuwenn lassen, kann aber zugleich mit Fakten kontern.
Warum nicht im Plenum der Gruppe besprechen?
Wenn ich es vor der ganzen Gruppe mache, besteht die Gefahr, dass jemand sich bloßgestellt fühlt und umso weniger unliebsame Fakten ernst nimmt. Im persönlichen Gespräch können Sie auch abtesten, ob jemand die Falschmeldung lediglich interessant oder unterhaltsam fand oder ob jemand das zu hundert Prozent glaubt: Das entscheidet, wie die Diskussion weiterläuft und wie schwierig es wird, argumentativ gegenzusteuern.
Gehen wir einen Schritt zurück: Was ist eine Verschwörungserzählung – und was ist sie nicht?
Verschwörungserzählungen suggerieren, es gäbe eine große Erklärung und im Hintergrund würde eine dunkel agierende Personengruppe die Geschicke lenken. Viele Falschmeldungen sind Verschwörungserzählungen, weil sie andeuten, dass im Hintergrund von einer Elite Übles geplant würde. Zum Bei
Die Behauptung, Bill Gates würde die Impfungen fördern, um Menschen zu zwangssterilisieren, ist eine Verschwörungserzählung, weil ein dunkler Plan suggeriert wird. Verschwörungserzählungen sind eine besondere Kategorie der Desinformation, weil sie eine Welterklärung liefern und noch dazu große emotionale Anziehungskraft haben. Es geht also nicht nur um die Frage der Logik, sondern auch darum, welches emotionale Bedürfnis diese Erzählungen befriedigen.
Wie geht man mit Personen um, die im Glauben an eine Verschwörungserzählung – nehmen wir als Beispiel die auch hierzulande zunehmend verbreitete QAnon-Erzählung von in Tunnel gefolterten Kindern – eine Faktenresistenz aufgebaut haben und wo eine gemeinsame Gesprächsbasis fehlt?
Ganz ehrlich, wenn jemand sehr tief drinsteckt, muss man die eigenen Erwartungen herunterschrauben. Dann wird ein Faktencheck nicht reichen. Wenn jemand sehr überzeugt von solchen Vorstellungen ist, kann es bereits ein Erfolg sein, die Person auch nur einen Moment lang Zweifel spürt. Da würde ich empfehlen, stark mit Fragen zu agieren. Generell sind Fragen ein mächtiges rhetorisches Instrument, weil man die Dynamik des Gesprächs ändert.
Verschwörungsgläubige sind geschickt darin, abzulenken oder mit Halbwahrheiten zu hantieren. Wie reagiert man darauf?
Man kommt schnell vom Hunspiel:
dertsten ins Tausendste. Das beginnt mit Bill Gates, der irgendwas plant, dann wird irgendwas über Masken behauptet, und am Ende geht es um die neue Weltordnung, die bevorsteht. Plötzlich diskutiert man über zehn Baustellen gleichzeitig und ist schnell überfordert. Mit Fragen kann ich gegensteuern: Woher hast du das? Und gerade, wenn jemand sehr überzeugt ist, würde ich fragen: Warum glaubst du das? Da würde ich ein wenig auf die Gefühlsebene steuern: Warum findet jemand solche Vorstellungen interessant? Vielleicht ist die Person verunsichert? Es kann sein, dass manche Menschen so sehr unter den Corona-Maßnahmen leiden, dass sie beginnen, fragwürdige Behauptungen ernst zu nehmen, weil es für sie leichter ist, zu glauben, das Virus sei eine Erfindung, als dass das Virus real ist und wir unser Leben für eine gewisse
Zeit ändern und einschränken müssen. Es gilt, Falschheiten zu widersprechen, aber die Ängste dahinter ernst zu nehmen.
In der Praxis wird auf gezielte Desinformation seltener mit effizienter Aufklärung als mit Häme reagiert: von „Nimm den Aluhut ab“bis „Covidioten“. Wie schädlich ist dieser Umgangston?
Es ist oft total nachvollziehbar, warum Menschen mit Häme oder auch wütend reagieren. Wenn jemand die Idee verbreitet, man soll sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen, weil Bill Gates damit die Zwangssterilisation der Menschheit plant, dann ist man schnell schockiert und wütend. Auch aus der Überforderung heraus sagt man Sachen wie: „Du bist ja auch schon verstrahlt.“Das Problem ist erstens, dass man die hämisch attackierte Person damit nicht dazu bringt, besser zuzuhören. Zweitens gibt es oft Zuschauende oder Mitlesende: Wenn ich mit harter Häme hineinfahre, ist die Gefahr, dass ich zur Polarisation beitrage und es jenen, die ohnehin in diese Richtung tendieren, leichter mache, mir nicht mehr zuzuhören. Das nennt man auch den „Nasty Effect“: Wenn Beleidigungen in einer Diskussion fallen, wird es schwierig, sachlich aufeinander zuzugehen.
Welche Bedeutung haben die internen Mechanismen von Verschwörungscommunitys?
Man sollte ernst nehmen, wie viel Bestätigung Leute aus Verschwörungserzählungen erzielen können. Außenstehende unterschätzen, wie gut sich das anfühlen kann, so etwas zu glauben. Für Außenstehende klingt dieser Glaube ja angsteinflößend, dass eine dunkle Elite böse Dinge planen würde. Für die Leute in der Szene ist das zwar auch unbehaglich, aber gleichzeitig sind sie unglaublich stolz auf sich selbst, weil sie meinen, sie haben die Wahrheit erkannt. Dazu passend gibt es eine Untersuchung von den Psychologen Roland Imhoff und Pia Lamberty: Sie haben einen leichten Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit und Verschwörungsdenken festgestellt. Dieser Glaube kann einem das Gefühl geben, ich bin besonders clever, weil ich habe mehr als die anderen gecheckt. Auch gibt einem das Halt: Als Verschwörungsgläubiger muss ich nicht in der Früh mit Ungewissheit aufstehen. Ich weiß ja, wer schuld ist. Ich habe es durchschaut.
Sie beenden das Buch mit dem Rat, „die Komplexität der Welt mit all ihren schönen und unbehaglichen Seiten anzuerkennen“. Ein Aufruf zu mehr Gelassenheit?
Wir gehen oft in Diskussionen rein mit der Absicht, einen guten Faktencheck zu finden, ihn mit anderen zu teilen, und der verschwörungsgläubige Onkel wird dann seine Meinung ändern. Die Realität ist: Die Meinung von anderen Menschen zu ändern, ist das Schwierigste auf der Welt. Niemand geht in eine Diskussion hinein, um danach die Welt anders zu sehen. Wenn ich das weiß, werde ich beim Diskutieren gelassener und strategischer. Zu einem gewissen Grad muss man damit leben, dass nicht hundert Prozent der Menschen hundert Prozent richtige Dinge glauben werden. Auch ich glaube sicher Dinge, die falsch sind. Wenn ich das aber mit einer Gelassenheit akzeptiere, werde ich mich selbst weniger aufgewühlt fühlen beim Diskutieren und kann mir strategisch überlegen, wo es mir wirklich wichtig ist, durchzukommen. Ich empfehle wirklich, dass man diskutiert, auch im eigenen Umfeld Aufklärung betreibt, aber sehr strategisch überlegt, wo der eigene Einsatz sinnvoll ist – und für welches Ziel man diskutiert.