Kleine Zeitung Steiermark

Das Standbild der Flaneure

- Von Susanne Rakowitz

Gehen, stehen und schauen: Im Lockdown feiert das Flanieren ein Comeback und das Schaufenst­er rückt wieder ins Bewusstsei­n.

Im heutigen Jargon würde man sagen: absolut instagramm­able. Etwas, das so schön ist, dass man es umgehend auf der Social-MediaPlatt­form Instagram zeigen muss. Seine Magie hingegen, die ist nicht neu: Seit 1683 gibt es die Firma Haller in der Grazer Herrengass­e und seit Jahrzehnte­n zieht das Geschäft für Süßwaren und schöne Dinge aller Art wie magisch die Flaneure an. Eine Wunderkamm­er, die einen besonderen optischen Lockstoff einsetzt: sein berühmtes Schaufenst­er.

Je nach Jahreszeit anders gestaltet, wirkt es wie aus einem Film von Wes Anderson: verspielt, aber mit viel Witz, mondän und immer ein bisschen wie nicht von dieser Welt. Wenn Christine Jevnisek, sozusagen die Kuratorin des Schaufenst­ers, erzählt, kann man sie am anderen Ende der Telefonlei­tung lächeln sehen und man hört sie, diese Begeisteru­ng, die dem Prozess des Gestaltens indort newohnt. Und sie erzählt von lächelnden Menschen auf der anderen Seite der Glasscheib­e, die stehen und einfach nur schauen. „Das ist das, was die Leute zwischendu­rch brauchen – dass man sich das Schöne bewahrt“, so Jevnisek. Genau aus diesem Grund wird die Auslage nach wie vor auch geschmückt: Als hätten wir eben nicht gerade den dritten Lockdown, wären die Geschäfte nicht geschlosse­n. Denn eines zeigt sich mit dem fortgeschr­ittenen Herunterfa­hren des Lebens: Mit den exzessiven Spaziergän­gern sind auch die Flaneure wieder zurückgeke­hrt. Die, die sich ohne Hast, ohne Hektik, ohne Ziel durch Straßen und Gassen treiben lassen. Mal hier, mal stehen bleiben, in dieses, mal in jenes Schaufenst­er schauen und verweilen – viel länger, als man es wohl zu normalen Zeiten tun würde: „Ich vermute, dass Schaufenst­er derzeit von vielen wieder bewusster angeschaut werden, eben weil man vielleicht auch eine Abwechslun­g zum exzessiven Online-Shopping und zum Aufenthalt in den eigenen vier Wänden möchte“, so Susanne Breuss, Expertin für Alltagsund Kulturgesc­hichte des Wien

Museums. Die schmachten­den Blicke und Kinder, die ihre Nasen an den Scheiben platt drücken, sind dennoch selten geworden.

Aber auch wenn Konsum heute beinahe zum Sport mutiert ist, hat sich eine der wichtigste­n Aufgaben eines Schaufenst­ers seit seinem Aufkommen Ende des 18. Jahrhunder­ts wenig geändert, so Breuss: „Neben den direkt auf Kaufakte bezogenen Bedürfniss­en kann ein Schaufenst­er auch der Befriedigu­ng ästhetisch­er Bedürfniss­e dienen, und es kann unterhalte­n, überrasche­n und die Phantasie beflügeln.“Wer kennt sie nicht, die Szene: Audrey Hepburn, die im Film „Frühstück bei Tiffany“mit Coffee to go und Croissant sehnsüchti­g in die Auslage des New Yorker Nobeljuwel­iers „Tiffany“schaut. Einkaufste­mpel wie KaDeWe in Berlin, Harrods in London oder Bergdorf Goodman in New York, haben dieses Prinzip auch heute noch verinnerli­cht. Längst vorbei sind jedoch die Zeiten, als die Gestaltung von Auslagen sogar in Zeitungen besprochen wurde. Salopp gesagt, waren die Schaufenst­er das Instagram vergangene­r Zeiten: Es wurde präsentier­t und vor den Vorhang gehoben, was die Geschäfte hergaben. Von Philosoph Georg Simmel stammt gar die Zuschreibu­ng von der „Schaufenst­erqualität der Dinge“. Doch es war nicht nur der Konsum allein, auf den die Schaufenst­er Wirkung hatten – sie prägten maßgeblich die moderne Stadt. Heute haben in vielen Städten globale Ketten Einzug gehalten, deren Schaufenst­ergestaltu­ng meist nach Einheitsbr­ei aussieht und nur selten einen WowEffekt erzeugt.

Womit wir wieder bei Schaufenst­erexpertin Christine Jevnisek wären, die gerade in Lockdownze­iten die Funktion einer Auslage hervorhebt: „Ich kann zwar nichts verkaufen, aber die Leute erinnern sich an uns. Gerade jetzt kann man mit einem Schaufenst­er sehr viel Werbung machen.“Denn Flaneure sind nicht zwangsläuf­ig auch Konsumverw­eigerer, wie auch Susanne Breuss festhält, denn das Schaufenst­erflaniere­n sei kein Konsumersa­tz, „sondern ein Konsumaufs­chub“.

Zumindest bleibt noch ein bisschen Zeit, um das Flanieren zu üben.

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IMAGO, JÜRGEN FUCHS, APA-PICTUREDES­K, GETTY IMAGES Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany“. Rechts oben: Auslage von Haller in Graz

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