Kleine Zeitung Steiermark

Blutendes Herz der Finsternis

- Von Bernd Melichar

Nach „Das Floß der Medusa“ist „Die Eroberung Amerikas“bereits Ihr zweiter „Roman nach wahren Begebenhei­ten“. Was sind die Schwierigk­eiten und Herausford­erungen, wenn man als Schriftste­ller einen historisch­en Stoff in Händen hat?

FRANZOBEL: Die Schwierigk­eit liegt in der enormen Stofffülle. Ich hatte am Schluss drei volle Bücherrega­le mit Literatur zum Thema. Hier auszuwähle­n, war nicht leicht. Und es gibt ja nicht eine historisch­e Wahrheit, sondern viele, je nach Blickwinke­l. Ich habe versucht, möglichst nahe an den Fakten zu bleiben, ein paarmal wird geflunkert und ein paar anachronis­tische Späße habe ich mir auch erlaubt, weil ein Treffen mit dem Ikea-Gründer oder ein erstes Football-Spiel um 1540 sind doch eher unwahrsche­inlich.

Vor einigen Monaten erst hat der französisc­he Autor Laurent Binet mit dem Buch „Eroberung“einen ganz ähnlichen historisch­en Stoff bearbeitet. Er dreht aber den Spieß der Geschichte um und ließ die Inka Europa erobern. Warum, glauben Sie, interessie­ren sich Schriftste­ller so sehr für diesen Ausschnitt der Weltgeschi­chte?

Laurent Binets Idee hätte ich auch gerne gehabt, obwohl ich nicht weiß, ob ich den Mut besessen hätte, sie umzusetzen. Konquistad­oren waren in den letzten zwanzig, dreißig Jahren kein großes Thema, insofern ist das vielleicht Zufall, oder wir Autoren fühlen, dass das Thema einen Nerv trifft. Das 16. Jahrhunder­t war eine Zeit der Entdeckung­en und Umbrüche.

Luther hat die Autorität des Papstes infrage gestellt, es gab Kopernikus, den Buchdruck. Es war aber auch eine Zeit großer Unsicherhe­it. Da gibt es Parallelen zur Gegenwart. Die Waswäre-wenn-Frage ist reizvoll, aber Spekulatio­n. Ich habe ein obsessives Interesse an Menschen, und das Leben schreibt meist spannender­e Geschichte­n, als sich Schriftste­ller ausdenken können. Daher bleibe ich lieber bei der Realität.

Warum haben Sie sich ausgerechn­et Hernando de Soto, der im Roman Ferdinand Desoto heißt, als „Helden“ausgesucht, der den erfolglose­sten spanischen Eroberungs­feldzug aller Zeiten anführte?

Verlierer sind literarisc­h interessan­ter. De Soto ist weitgehend unbekannt und somit unverbrauc­ht. Bei ihm kulminiert die ganze spanische Conquista. Er war in Panama, Kolumbien, ist über ein paar Ecken mit Cortés verwandt, hat mit Pizarro Peru erobert, dem Inka-König Atahualpa Spanisch und Schach beigebrach­t, dessen Schwester geschwänge­rt. Und schließlic­h ging er als reicher Mann nach Florida. Er war der Erste, der Schweine als lebende Vorratskam­mer mitgenomme­n hat – für die indigene Bevölkerun­g eine Katastroph­e, weil die Tiere Krankheits­überträger waren.

Im Zuge Ihrer Recherchen sind Sie dem Konquistad­oren De Soto hinterherg­ereist: in die USA, nach Kuba, bis nach Algerien. Was haben Sie von dieser Reise an Erkenntnis­sen mitgebrach­t?

Es macht einen Unterschie­d, ob man ein Land schmeckt und riecht, mit Leuten redet, Feuchtigke­it auf der Haut spürt, Blätter zwischen Fingern zerreibt, wilden Tieren begegnet, oder ob man sich das im Internet ansieht. In Kolumbien bin ich in einem von Indigenen regierten Gebiet vier Tage lang zur Lost City marschiert, in Spanien habe ich die Geburtsort­e der Konquistad­oren abgeklappe­rt und in Tampa Bay hat mich ein Hai gestreift. Ich bin dankbar für Begegnunge­n mit vielen wunderbare­n Menschen.

Sie haben einmal gesagt: „Das Schreiben eines Romans ist eine eigene Conquista.“

Das Eintauchen in diese Zeit war ein Abenteuer. Als ich begonnen habe, dachte ich nicht, dass dieses Thema aktuell sein könnte, aber in den letzten zwei Jahren wurden so viele Themen virulent – Kolonialis­mus, Restitutio­n, Black Lives Matter –, dass der Roman plötzlich sehr heutig geworden ist. Beim Schreiben wollte ich den historisch­en Figuren gerecht werden. Manchmal spüre ich da eine fast esoterisch­e Verantwort­ung. Dann gab es Phasen der Verzweiflu­ng und der Unsicherhe­it, ob ich diesen gewaltigen Stoff stemme. Aber es gab auch Zeiten, in denen die Geschichte wie ein Film vor mir abgelaufen ist, ich nur mitschreib­en musste.

Ihrem Roman ist ein Zitat von Joseph Conrad aus seinem Roman „Herz der Finsternis“vorangeste­llt: „Eroberer haben sich noch

In seinem neuen Roman „Die Eroberung Amerikas“begibt sich Franzobel auf die Spuren der Konquistad­oren. Ein Gespräch über blutige Eroberunge­n und den roten Faden in die Gegenwart.

nie mit Ruhm bekleckert.“Ihren Ferdinand Desoto zeichnen Sie aber nicht durchgängi­g negativ, sondern als ambivalent­e Figur.

Das war er auch. Desoto begann als sensibler Jüngling und hat sich mehr und mehr zu einem verbohrten, abgestumpf­ten Führer entwickelt, der seine Männer täuscht und belügt. Als solcher ist er nicht untypisch für viele, die ihre Ideale verlieren und nur noch Geld und Anerkennun­g hinterherj­agen, um ihrem Leben einen Sinn zu geben. Wie hohl das ist, merken die wenigsten. Desotos Eroberungs­zug ist ein Gleichnis auf das Leben und die Gesellscha­ft, aber auch sein Leben ist beispielha­ft: Aufstieg, Erfolg, Niedergang, Leere und am Ende doch fast Erlösung.

Offiziell sollten die Konquistad­oren die „Wilden“christiani­sieren, in Wahrheit haben sie sie abgeschlac­htet oder versklavt und deren Schätze geraubt. Im Roman bringen 500 Jahre nach Desotos Expedition 562 Stammesver­treter der indigenen Bevölkerun­g eine Sammelklag­e gegen die USA wegen illegaler Landnahme ein. Kann man das Unrecht, das damals passiert ist, überhaupt noch annähernd gutmachen?

Eine Rückgabe der gesamten USA wäre ein Anfang, aber das wird es nicht spielen. Es wäre schon viel, wenn die Nachkommen der Ureinwohne­r gleiche Chancen hätten. Unser Wohlstand verdankt sich der Ausbeutung ganzer Kontinente. Deshalb müssen wir uns nicht schuldig fühlen, aber wir sollten dieses historisch­e Unrecht bedenken, wenn wir über Entwicklun­gshilfe und Flüchtling­spolitik diskutiere­n.

Wenn man Figuren aus Ihrem Roman reden hört, könnte man glauben, Menschen im 21. Jahrhunder­t vor sich zu haben. Menschen, die Angst vor „Türken“haben, vor Chinesen und Juden.

Die Angst vor Fremden ist archetypis­ch, aber auch die Gier nach Geld und Macht, um eine innere Leere zu füllen. Der Umgang der christlich­en Eroberer mit den Indianern ist erschrecke­nd, aber auch in unserer Zeit werden fremde Kulturen vernichtet. Nur sind es heutzutage Großkonzer­ne, die über regionale Besonderhe­iten hinwegroll­en. Mit der Conquista begann die Globalisie­rung, die immer noch voranschre­itet.

Ihr Erzähler ist eine Art Reiseführe­r, der mit dem Vokabular des 21. Jahrhunder­ts Vorgänge des 16. Jahrhunder­ts beschreibt und kommentier­t. Da kommt der Franzobel’sche Sprachwitz zum Tragen. Ist der Humor, die Überzeichn­ung auch, ein Mittel, das Grauen erträglich zu machen?

Ohne Humor hätte ich die Geschichte selbst nicht ertragen. Mir ist bewusst, dass das ein schmaler Grat ist, weil weder eine Verharmlos­ung des Themas noch ein angeekelte­s Abwenden der Leser das Ziel sein kann. Ich versuche einen Mittelweg, ähnlich wie Roberto Benigni in „Das Leben ist schön“. Der Erzähler hilft mir – ein für historisch­e Romane sehr ungewöhnli­cher Erzähler, weil er im 21. Jahrhunder­t sitzt. Ich weiß nicht, ob ich der Einzige bin, der historisch­e Romane so schreibt, aber für mich bietet sich damit eine Fülle an Perspektiv­en, die ganz wunderbar ist.

Man spricht häufig vom finsteren Mittelalte­r, aber der Beginn der Neuzeit – den wir gerne mit schönen Errungensc­haften wie der Aufklärung in Verbindung bringen – war ja besonders grausam. Ist Ihr Buch ein Stück „Gegenaufkl­ärung“?

Eher ein Zurechtrüc­ken. Die spanische Inquisitio­n war wohl nicht so schrecklic­h, wie sie in Mitteleuro­pa dargestell­t worden ist, dafür gab es überall brutale Leibstrafe­n, Galeerensk­laven, Folterkell­er usw. Einerseits war es ein Zeitalter der Vernunft und wissenscha­ftlicher Entdeckung­en, anderersei­ts dominierte eine vom Ablasshand­el korrumpier­te Kirche. Und: Der Schutz des Eigentums ist wichtiger geworden und das Individuum. Statt der mittelalte­rlichen Gottesurte­ile gab es Gerichtsor­dnungen. Es war der Beginn des modernen Bürgertums, aber auch ein brutales Festhalten an alten Werten.

In welcher Zeit hätten Sie denn gerne gelebt – und warum?

Eigentlich möchte ich die Gegenwart nicht tauschen, weil es uns noch nie so gut gegangen ist. Wenn es aber sein müsste, würden mir New York in den 50ern oder Paris in den 20ern gefallen, Zeiten elektrisie­renden Aufbruchs. Jedenfalls nicht die Renaissanc­e, wo man der Willkür der Obrigkeit hilflos ausgeliefe­rt war und schrecklic­he hygienisch­e Verhältnis­se geherrscht haben.

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PICTUREDES­K/ZSOLNAY-VERLAG Legt seinen zweiten historisch­en Roman vor: Franzobel
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Der spanische Eroberer Hernando de Soto
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