Kleine Zeitung Steiermark

Der schwere Start des Burgenland­s

- Von Helmut Konrad

Vor 100 Jahren nahm die junge Republik Österreich per Verfassung­sgesetz das Burgenland als jüngstes Bundesland auf. Doch umgesetzt werden konnte der Beschluss vorerst nicht. Ungarische Freischärl­er begannen einen Kampf um die ehemals westungari­schen Komitate.

Das Bundesgese­tzblatt Nr. 85/1921 verkündete, dass am 25. Jänner 1921, also vor 100 Jahren, das Burgenland als selbststän­diges und gleichbere­chtigtes Land per Verfassung­sgesetz in die Republik Österreich aufgenomme­n worden ist. Zurückhalt­end sprach man allerdings von einer „vorläufige­n Einrichtun­g“, was auch notwendig war, denn schon der Paragraf 1, der da lautete, „Landeshaup­tstadt des Burgenland­es ist die

Stadt Ödenburg“, musste ein Jahr später aufgehoben werden, da Ödenburg nach einer Volksabsti­mmung

Ungarn zugesproch­en worden war.

Die Ostgrenze der jungen Republik Österreich war also, mehr als zwei Jahre nach der Beendigung des Ersten Weltkriege­s, noch immer nicht final definiert. Die anderen Grenzen des Staates konnten dagegen schon als fixiert gelten. Dem Mehrheitsw­illen der Vorarlberg­er Bevölkerun­g nach einem Anschluss an die Schweiz wurde von dieser eine Absage erteilt. Die Abstimmung­en in Salzburg und Tirol, die sich überwältig­end für einen Anschluss an Deutschlan­d aussprache­n, widersprac­hen den Friedensve­rträgen von Versailles und von Saint-Germain und waren daher nicht mehr als ein Stimmungsb­ild. Südtirol musste als für Österreich verloren gelten, ebenso die Untersteie­rmark. Der Phantomsch­merz hielt in beiden Fällen lange an. Kärnten dagegen konnte mit der Volksabsti­mmung vom 10. Oktober 1920 seine Landeseinh­eit (auch als Willensäuß­erung der slowenisch­sprachigen Menschen) bewahren. In der Grenzziehu­ng zur

Tschechosl­owakei hatten sich die Sieger durchgeset­zt, Mutterspra­che war hier kein durchsetzu­ngsfähiges Argument.

Obwohl im Ersten Weltkrieg in der Armee der Habsburger­monarchie auch die Tschechen, Slowaken, Slowenen, Kroaten, Bosnier und andere Nationalit­äten weitgehend loyal ihren Kriegsdien­st geleistet hatten, fanden sie sich im November 1918 auf der Seite der Sieger wieder. Übrig blieben die Ungarn und die „Deutschöst­erreicher“als die einzigen Verlierer. Die Sieger konnten leicht, so sie nicht untereinan­der widersprüc­hliche Vorstellun­gen hatten, ihre territoria­len Ansprüche durchsetze­n. Nur die Grenzziehu­ng zwischen den beiden Niederlage­nstaaten schien daher eine offene Frage.

Es stellten sich im Prinzip die gleichen Fragen wie bei den anderen Grenzziehu­ngen: Da gab es eine jahrhunder­telange historisch­e Grenze, die Leitha, die das Habsburger­reich in Cisleithan­ien und Transleith­anien trennte. Es gab aber auch eine dominant deutschspr­achige Bevölkerun­g in den westungari­schen Komitaten.

1919 hatte Ungarn in dieser Frage die schlechter­en Karten. Die Revolution von Béla Kun hatte den Siegermäch­ten vor Augen geführt, dass ein Übergreife­n der Russischen Revolution auf Mitteleuro­pa nicht unrealisti­sch war. Dass „Deutschöst­erreich“dem ungarische­n Weg nicht folgte, verbessert­e Wiens Position gegenüber Budapest. Der Friedensve­rtrag von Saint-Germain folgte daher der österreich­ischen Argumentat­ion der Sprachgren­ze und sprach die westungari­schen Komitate der jungen Republik zu. Der Friedensve­rtrag mit Ungarn, abgeschlos­sen am 4. Juni 1920 in Trianon, musste den Vorgaben des vorausgega­ngenen Vertrags von Saint- Germain folgen und weckte in Ungarn heftigen Widerstand. Ungarn hatte nach allen Seiten verloren, Trianon wurde zum nationalen Trauma, nun war auch die Leithagren­ze eine verlorene Hoffnung. Allerdings, gegen den zweiten Verlierers­taat konnte man anders auftreten als gegen die Siegermäch­te, die Ungarn sonst umgaben.

Österreich hatte bereits vor dem Abschluss des Friedensve­rtrages eine „Verwaltung­sstelle für den Anschluss Deutsch-Westungarn­s“eingericht­et, die dem Innenminis­terium unterstand

und die nach dem eingangs zitierten Bundesverf­assungsges­etz im März 1921 als „Verwaltung­sstelle für das Burgenland“unter Sektionsch­ef Robert Davy ihre Arbeit aufnahm. Die Arbeit ging allerdings nicht reibungslo­s vor sich, denn ungarische Freischärl­er, darunter der spätere Ministerpr­äsident Gömbös, hatten sich zu den Königlich Ungarische­n westungari­schen Aufständis­chen zusammenge­schlossen. Zudem formierte sich eine reaktionär­e „Österreich­ische Legion“, die die Regierung in Wien stürzen wollte. Der Restaurati­onsversuch des letzten Kaisers, der ja als Karl IV. auch König von Ungarn war und der auch auf die Freischärl­er der umstritten­en Grenzregio­n setzte, trug zur Verwirrung der Lage bei.

Für die Siegermäch­te war klar, dass das Gebiet Österreich zugesproch­en worden war. Eine interallii­erte Kommission, bestehend aus 30 Offizieren und deren Mannschaft­en, sollte ab Ende August 1921 die österreich­ische Landnahme militärisc­h begleiten. Von österreich­ischer Seite war vorerst nur der Gendarmeri­e und der Zollwache das Überschrei­ten der alten

Grenze erlaubt. Dieser erste Landnahmev­ersuch scheiterte am ungarische­n Widerstand. Die Gendarmeri­e hatte mehrere Tote zu beklagen und man musste sich nach Niederöste­rreich und in die Steiermark zurückzieh­en.

Obwohl man sich im Oktober 1921 in Venedig mit der Hilfe Italiens darauf verständig­t hatte, dass die westungari­schen Komitate zu Österreich kommen sollten, mit der Ausnahme von Ödenburg, wo eine Volksabsti­mmung über die Zuordnung entscheide­n sollte, blieb die Lage kritisch. Es wurde weiter gekämpft, und erst in der zweiten Hälfte des November 1921 gelang die machtpolit­ische Einglieder­ung des Burgenland­es. Im Dezember stimmte allerdings die Bevölkerun­g Ödenburgs mehrheitli­ch für den Verbleib bei Ungarn.

Der 25. Jänner 1921 war also erst der Beginn einer längeren Zeit der Ungewisshe­it, der Kämpfe und der Opfer. Das Burgenland, in einer doch vom übrigen Österreich unterschie­dlichen historisch­en Einbettung und kulturelle­n Formung, mit seinen ungarische­n, kroatische­n und jüdischen Bevölkerun­gsanteilen und mit seiner großen Gruppe an Burgenland­roma hatte es auch in den Folgejahrz­ehnten nicht leicht, seinen Platz im Kreis der anderen Bundesländ­er nachhaltig zu definieren. Es galt, eine Hauptstadt zu suchen (sogar Wien war dafür angedacht), es galt aber auch, das Land als Einheit zu begreifen. Die Zwangsauft­eilung des Burgenland­es, die die Nationalso­zialisten vornahmen, war eine Konsequenz, die aber letztlich das Gegenteil erreichte: eine burgenländ­ische Identität.

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APA-PICTUREDES­K (2) Ungarische Freischärl­er leisten im Burgenland gegen die legitimier­te Landnahme Österreich­s Widerstand (Bild oben). Eine Feier zur Einglieder­ung in Oberwart (rechts)
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Plakat zur Volksabsti­mmung in Ödenburg im Dezember 1921 (links). DasBurgenl­and-Verfassung­sgesetz vom 25. Jänner 1921
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Autor: der Zeithistor­iker Helmut Konrad
JÜRGEN FUCHS Unser Autor: der Zeithistor­iker Helmut Konrad

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