Kleine Zeitung Steiermark

Der dritte Mann

Der Wirecard-Finanzskan­dal wächst mit der Verstricku­ng von Leuten des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g zur Staatsaffä­re aus.

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Wien war schon immer ein heißer SpionageBo­den. Der Kinofilm „Der dritte Mann“setzte dem 1949 bis in die Tiefen der städtische­n Kanalisati­on ein cineastisc­hes Denkmal. Darin geriet ein Amerikaner im russisch besetzten Wien an eine gefährlich­e Schieberba­nde, die skrupellos Penizillin-Impfungen streckte und den Tod der Empfänger in Kauf nahm. Mit Zitherspie­l ging der Blick ins Orkanauge des Kalten Krieges um die Welt.

Wieder schaut alle Welt fassungslo­s auf das geheimdien­stliche Österreich, doch es geht nicht etwa um heimlich gestreckte­n Corona-Impfstoff. Stattdesse­n sind 1,9 Milliarden Euro des gecrashten Finanzkonz­erns Wirecard irgendwo um den Globus wie Abwasser in dunklen Kanälen versickert und der mutmaßlich­e Mastermind Jan Marsalek soll beim russischen Geheimdien­st in Moskau untergesch­lupft sein. Kinoreif auch, dass ihn bei dieser Flucht ein ehemaliger Abteilungs­leiter des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) geholfen haben soll. Dieser sitzt, wie ein weiterer, in Kärnten verhaftete­r BVT-Mann, in U-Haft, wie auch ein Ex-FPÖNationa­lrat, der im Juni 2020 den Fluchtflie­ger für Marsalek startklar gemacht haben soll.

Marsalek und sein in München in U-Haft sitzender Kompagnon Markus Braun waren gefeierte Fintech- und Börsenstar­s an der Frankfurte­r Börse und Liebkinder der Wiener Finanzschi­ckeria, die mit Wirecard-Aktien eingeschau­t hat. Doch der Finanzskan­dal, der die deutsche Bankenaufs­icht BaFin erschütter­t und global Finanzprüf­er ins Zwielicht setzt, wächst in Österreich mit der Verstricku­ng von BVT-Leuten zur Staatsaffä­re aus. Marsalek verkehrte in klandestin­en Kreisen, war steter Gast in Moskau und wollte sogar Milizen in Libyen aufstellen. Der bizarre Akteur mag sich wie in der Hauptrolle eines Spionagefi­lms gefühlt haben – und das BVT gab dafür naiv den Set her.

Neben Marsalek und Braun, denen wir eine Unschuldsv­ermutung nach Moskau und in die Haftanstal­t bei München nachsenden, kommt mit dem festgenomm­enen Ex-BVT-Abteilungs­leiter (detto Unschuldsv­ermutung) zum WirecardSk­andal ein besonderer dritter Mann ins Spiel. Mächtig im BVT, hatte er sogar das Referat Spionage unter sich. Nach seinem Ausscheide­n soll er jenes Dossier verfasst haben, das dem damaligen FPÖ-Innenminis­ter Herbert Kickl als Flammensch­wert für die wilde Razzia beim BVT gedient hat. ls wäre im BVT nicht schon um den Jihadisten­Terroransc­hlag im November genug aufzukläre­n, hat Innenminis­ter Karl Nehammer nun auch Datenklau im BVT im Auftrag Marsaleks und Fluchthilf­e nachzugehe­n. Am Samstag bezeichnet­e Nehammer das BVT als „20 Jahre alte Schutzmaue­r“des Staates, „die Risse bekommen hat und neu errichtet werden muss“. Die FPÖ muss erklären, ob und wie es Marsalek-Nähe gibt. Am Kanzler haftet die Täuschung durch Braun, auch wenn dieser sofort aus seinem Thinktank flog.

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